Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1647
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers charakterisiert die abhängige, fremdbestimmte Beschäftigung des Arbeitnehmers in Abgrenzung zur selbstständigen und eigenbestimmten Tätigkeit. Mit Wirkung zum 1.1.2003 hat der Gesetzgeber im Zuge der Novellierung der Gewerbeordnung mit § 106 GewO eine gesetzliche Regelung über das Weisungsrecht geschaffen, die für alle Arbeitsverhältnisse (§ 6 Abs. 2 GewO) gilt. Dabei sollte unter wesentlicher Übernahme des Inhalts des im Gegenzug aufgehobenen § 121 GewO die bisherige Rechtsprechung "in moderner Sprache" im Interesse von Rechtsklarheit und -sicherheit kodifiziert werden. Inhaltliche Änderungen waren damit nicht verbunden, sieht man von der besonderen Vorschrift zur Berücksichtigung von Behinderungen ab (§ 106 S. 3 GewO). Seither ist § 106 GewO u.a. gesetzliches Leitbild für die Überprüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen anhand der §§ 305 ff. BGB.
Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen, kann es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und dem leistungsgeminderten Arbeitnehmer innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens eine Tätigkeit überträgt, zu deren Erbringung dieser noch in der Lage ist. Voraussetzung ist, dass dem Arbeitgeber die entsprechende Neubestimmung der auszuübenden Tätigkeit rechtlich möglich und zumutbar ist. Begrenzt wird diese Verpflichtung durch den jeweiligen Vertragsgegenstand. Eine Verpflichtung zur vertragsfremden Beschäftigung begründet das Gebot der Rücksichtnahme nicht. Der Arbeitgeber kann im Rahmen der Rücksichtnahmepflicht lediglich gehalten sein, dem Wunsch des Arbeitnehmers nach einer Vertragsanpassung nachzukommen, insbesondere wenn anderenfalls ein dauerhaftes Unvermögen des Arbeitnehmers droht.
Beim Direktionsrecht handelt sich um ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers, das doppelte Relevanz hat: Einerseits ist es notwendige Bedingung, um überhaupt vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bzw. vom Status als Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn ausgehen zu können. Andererseits konkretisiert der Arbeitgeber mit seinem Weisungsrecht die arbeitsvertraglich häufig nur rahmenmäßig bestimmte Arbeitspflicht – das heißt die dem Umfang nach bereits bestimmte Gegenleistung des Arbeitnehmers – hinsichtlich Zeit, Ort und Art der zu erbringenden Arbeitsleistung und schafft regelmäßig erst die Voraussetzung dafür, dass der Arbeitnehmer diese erbringen und das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis praktisch durchgeführt werden kann. Die Ausübung des Weisungsrechts ist notwendige Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers, wobei der erforderliche Weisungsumfang von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Ist eine Weisung des Arbeitgebers teilweise nicht mit dem Arbeitsvertrag vereinbar, kann sich daraus nach § 139 BGB die Unwirksamkeit der Weisung insgesamt ergeben, wenn der unwirksame Teil ein wesentlicher Bestandteil der Maßnahme ist. Gemäß § 106 GewO kann der Arbeitgeber den Inhalt, den Ort und die Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften (sog. Vorrang höherrangiger Rechtsquellen) festgelegt sind. Das gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb (z.B. Alkohol- und Rauchverbot). Bestehen zwischen Arbeitnehmern Spannungen, kann der Arbeitgeber dem durch die Umsetzung eines der Arbeitnehmer begegnen. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, anstelle der Umsetzung eine Abmahnung auszusprechen.
Das arbeitgeberseitige Weisungsrecht bzw. sein allgemeines Direktionsrecht und die dem entsprechende Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers sind charakteristische Merkmale des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig beschrieben ist, konkretisiert der Arbeitgeber durch die Ausübung seines Direktionsrechts. Bei der Ausübung des Ermessens hat er nach § 106 S. 3 GewO auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Da es sich beim billigen Ermessen nach § 106 S. 1 GewO um einen unbestimmten, von der Rechtsprechung mit Auslegungs- und Wertungsspielraum auszufüllenden Rechtsbegriff handelt, kommt es regelmäßig zu Unsicherheiten und Abgrenzungsschwierigkeiten, welche Weisungen einseitig gestaltend vom Arbeitgeber erteilt werden können und wann eine Änderung des Vertragsverhältnisses (durch einvernehmliche Änderung = Änderungsvertrag oder einseitige Änderungskü...