Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1511
Jeder Arbeitnehmer hat nach § 1 des Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlen Erholungsurlaub. Zweck des Urlaubs ist die gesetzlich gesicherte Möglichkeit für einen Arbeitnehmer, die ihm eingeräumte Freizeit selbstbestimmt zur Erholung zu nutzen. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen hervorgehoben, dass der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft ist. Maßgeblich für die Gewährung von Urlaub ist in Deutschland das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt 24 Werktage (§ 3 Abs. 1 BUrlG). Das BUrlG geht von sechs Werktagen pro Woche aus, so dass sich der gesetzliche Mindesturlaub auf vier Wochen beläuft. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist unabdingbar und kann weder durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung noch durch Arbeitsvertrag zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden (§ 13 Abs. 1 BUrlG). Bei unbezahltem Sonderurlaub (etwa Sabbatical) entsteht kein gesetzlicher Urlaubsanspruch. Teilzeitbeschäftigte, die regelmäßig an weniger Arbeitstagen einer Woche als ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer beschäftigt sind, haben entsprechend der Zahl der für sie maßgeblichen Arbeitstage ebenso Anspruch auf Erholungsurlaub wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Nach § 4 BUrlG entsteht der volle Urlaubsanspruch erstmalig nach Ablauf einer sechsmonatigen Wartezeit. Für das Entstehen des Urlaubsanspruchs ist grundsätzlich allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung. Das bedeutet, dass Urlaubsansprüche auch in einem ruhenden Arbeitsverhältnis entstehen können. Scheidet ein Arbeitnehmer während oder mit Ablauf dieser Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis aus, hat er lediglich einen Anspruch auf Teilurlaub nach § 5 BUrlG. Der Anspruch auf Teilurlaub entsteht, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens einen vollen Monat bestanden hat (§ 5 Abs. 1 BUrlG).
Rz. 1512
Der EuGH hat 2018 die Regelungen zur Übertragung von Urlaub ins nächste Jahr einem Wandel unterzogen. Nach § 7 Abs. 3 BurlG verfällt der Urlaubsanspruch zum Ende des Kalenderjahres. Das setzt jedoch voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hatte, seinen Urlaubsanspruch auch tatsächlich wahrzunehmen. Diesem Wandel folgt das BAG erstmalig mit seinem Urt. v. 19.2.2019. Das BAG betonte die Initiativlast des Arbeitgebers, wonach der Arbeitgeber die Arbeitnehmer in die Lage versetzen muss, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen, damit der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums verfalle. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber Urlaub von sich aus anordnet. Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass ihnen Urlaub zustehe, der bei fehlender Inanspruchnahme verfalle. Wenn Arbeitgeber nicht darauf hinweisen, dürfen sie sich nicht auf Verjährung berufen. Hierbei handelt es sich um eine Obliegenheit des Arbeitgebers. Wenn er seine Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß unterrichtet, darf er sich nicht auf Verjährung berufen.
Abstrakte Angaben im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung reichen nicht aus. Die Unterrichtung muss Folgendes enthalten:
(1) |
Mitteilung in Textform an den Arbeitnehmer über die Anzahl der Urlaubstage zu Beginn des Kalenderjahres, |
(2) |
die Aufforderung, den Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er noch im laufenden Urlaubsjahr genommen werden kann, |
(3) |
sowie einen unmissverständlichen Hinweis darauf, dass der Urlaub ersatzlos verfallen wird, wenn er innerhalb des Bezugszeitraums nicht genommen wird. |
Es genügt nicht, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nur abstrakt auf die Folgen des Nicht- oder Nicht-Rechtzeitig-Beantragens hinweist. Es empfiehlt sich zudem, dass der Arbeitgeber im laufenden Kalenderjahr erneut auf bestehende Urlaubsansprüche hinweist, etwa zu Beginn des dritten Quartals. Eine gesonderte Unterrichtung ist auch im Fall der Übertragung erforderlich (§ 7 Abs. 3 BurlG). Hier ist darauf hinzuweisen, dass der Urlaub verfällt, wenn er bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht genommen wurde. In besonderen Konstellationen, etwas bei Rückkehr aus Mutterschutz oder Elternzeit, kann eine gesonderte Unterrichtung nötig sein, weil noch Urlaubsansprüche aus vorangegangenen Jahren bestehen.
Rz. 1513
Der Urlaubsanspruch erlischt nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder eines Übertragungszeitraums von drei Monaten nach diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig ist. Der Anspruch geht bei fortbestehender Ar...