Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 547
Ein Bedarf für eine vertragliche Regelung besteht nicht, soweit sich Untersuchungspflichten aus Gesetzen und Verordnungen bzw. aus Tarifverträgen ergeben.
Rz. 548
Seit dem 24.12.2008 ist die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) in Kraft, die die zuvor verstreuten verschiedenen Rechtsvorschriften zusammenfasst (GefahrstoffVO, BiostoffVO, Gentechnik-SicherheitsVO, Lärm- und Vibrations-ArbeitsschutzVO, DruckluftVO, BildschirmarbeitsplatzVO, BGV A 4). Allerdings gelten die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften der BGV A 4 fort für die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung von ehrenamtlichen Einsatzkräften der Bundesrepublik Deutschland, z.B. bei den freiwilligen Feuerwehren und den Hilfsorganisationen, denn diese werden nicht von dem Anwendungsbereich der ArbMedVV erfasst. Die Erste Verordnung zur Änderung der ArbMedVV aus dem Jahr 2013 bewirkt weitere Rechtsklarheit, insbesondere zur Abgrenzung von arbeitsmedizinischer Vorsorge und Eignungsuntersuchungen. Eignungsuntersuchungen lassen sich nicht auf die Rechtsgrundlage der ArbMedVV stützen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 ArbMedVV).
Rz. 549
Die ArbMedVV regelt in ihrem § 4 die sog. Pflichtvorsorge, ferner in § 5 die sog. Angebotsvorsorge und in § 5a die sog. Wunschvorsorge. Untersuchungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge sind ausschließlich auf freiwilliger Basis und unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer diese nicht ablehnt, zulässig (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbMedVV). Allerdings muss die Pflichtvorsorge bei bestimmten besonders gefährdenden Tätigkeiten als Erst- und Nachvorsorge veranlasst werden und ist Beschäftigungsvoraussetzung, das heißt, dass eine entsprechende Tätigkeit ohne Teilnahme des Arbeitnehmers an der Pflichtvorsorge nicht durchgeführt werden darf (§ 4 Abs. 2 ArbMedVV). Eine Erwähnung im Arbeitsvertrag kann in diesen Fällen zum Zwecke der Klarstellung sinnvoll sein.
Der Arbeitgeber ist gemäß § 3 Abs. 4 ArbMedVV überdies verpflichtet, eine Vorsorgekartei zu führen, in der Angaben über Anlass, Tag und Ergebnis jeder Untersuchung archiviert werden. Durch die Änderung des ArbMedVV wurde das Erfordernis zum Führen einer Vorsorgekartei durch den Arbeitgeber auf alle Arten der Vorsorge ausgedehnt. Damit einher geht nach der Änderung der ArbMedVV die Pflicht des Arztes, die Vorsorgebescheinigung nun bei allen Arten der Vorsorge und damit anders als bisher nicht nur in Fällen der Pflichtvorsorge auszustellen. Die Vorsorgebescheinigung darf allerdings nur noch folgende Angaben enthalten: Vorsorgeanlass, Tag der arbeitsmedizinischen Vorsorge und ärztliche Beurteilung, wann eine weitere arbeitsmedizinische Vorsorge angezeigt ist (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 ArbMedVV). Eine Mitteilung des Ergebnisses der Vorsorgemaßnahme ist allerdings nicht mit aufzunehmen. Folge ist ein Aufleben der Diskussion um die rechtlichen Grundlagen von Eignungsuntersuchungen.
Rz. 550
Weitere Pflichtuntersuchungen ergeben sich u.a. aus § 43 Abs. 1 IfSG für Personal beim Umgang mit Lebensmitteln, aus § 60 Strahlenschutzverordnung, aus der Fahrerlaubnis-Verordnung (Anl. 5 zu §§ 11 und 48 FeV), aus §§ 32 ff. JArbSchG, § 81 SeemG oder aus § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG.
Rz. 551
Untersuchungspflichten können auch auf tarifvertraglicher Basis beruhen, z.B. auf § 7 BAT, der Pflichtuntersuchungen sowohl vor der Einstellung als auch – unter den dort geregelten Voraussetzungen – im laufenden Arbeitsverhältnis regelt. Für eine Regelung, die vorsieht, dass der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung die Arbeitsfähigkeit durch das Gesundheitsamt feststellen lassen kann, bedarf es eines hinreichenden sachlichen Grundes für die Anordnung. Sofern aufgrund hinreichender tatsächlicher Umstände fraglich ist, ob der Arbeitnehmer zu der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist, liegen berechtigte Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit vor, Dagegen ist im TVöD bzw. im TV-L die Einstellungsuntersuchung nicht mehr vorgesehen, wohl aber – im laufenden Arbeitsverhältnis – eine Pflichtuntersuchung aus begründetem Anlass (§ 3 Abs. 4 TVöD bzw. § 3 Abs. 5 TV-L).
Rz. 552
Soweit eine ärztliche Untersuchung gesetzlich/tarifvertraglich vorgeschrieben ist, kann der Arbeitgeber den Arzt bestimmen, soweit nicht eine Verständigung mit der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist (vgl. z.B. § 3 Abs. 4 S. 2 TVöD). In Betracht kommen neben Werksärzten Amtsärzte oder auch frei praktizierende Ärzte, sofern deren fachliche Eignung gewährleistet ist. Der Hausarzt des Arbeitnehmers scheidet insoweit allerdings aus.
Anders ist es dagegen bei einer ärztlichen Untersuchung aufgrund von § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG. Hier gilt der Grundsatz der freien Arztwahl, von dem allerdings bei begründeter Veranlassung in den Grenzen der Zumutbarkeit wiederum Ausnahmen zugunsten einer arbeitgeberseitigen Arztwahl gemacht werden.