Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1102
Die Grundsätze der gesetzlichen Mankohaftung beruhen auf einer wechselvollen, von der Literatur stets kritisch begleiteten Rechtsprechung, die ihren Höhepunkt in zwei Entscheidungen des BAG vom 17.9.1998 und 2.12.1999 gefunden hat. Wesentliche Fragestellung ist bei der Mankohaftung neben dem Haftungsumfang die sachgerechte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Rechtsprechung geht hierbei von einem zweiteiligen Haftungskonzept aus, das maßgeblich nach der Stellung des Arbeitnehmers differenziert. So sollen bei einem Arbeitnehmer, dem ein Kassen- oder Warenbestand in der Weise zur eigenen Verwaltung derart übertragen wurde, dass er alleinigen Zugang zu diesem hat und selbstständig darüber disponieren kann, neben den arbeitsrechtlichen Bestimmungen die Vorschriften über die Verwahrung und den Auftrag, insbesondere §§ 667, 688 BGB zur Anwendung kommen. Demgemäß soll der Arbeitnehmer die Herausgabe des Bestandes oder seines wirtschaftlichen Surrogats als Hauptleistungspflicht schulden; ist er hierzu nicht in der Lage, soll ein Fall der Unmöglichkeit vorliegen, der den Arbeitnehmer gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Fehlt es demgegenüber an einer derartigen Selbstständigkeit des Arbeitnehmers, soll sich die Haftung für einen Fehlbestand aus § 281 Abs. 1 S. 1 BGB ergeben, wenn der Fehlbestand Begleiterscheinung einer Schlechtleistung des Arbeitnehmers ist.
Rz. 1103
Diese Unterscheidung hatte in der Vergangenheit Auswirkung auf den Haftungsumfang, da die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung (vgl. hierzu Rdn 1018 ff.) im Falle der Unmöglichkeit nicht angewandt wurden, v.a. aber auch auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Bei einer Haftung wegen Unmöglichkeit ließ die Rechtsprechung genügen, wenn der Arbeitgeber die Überlassung des Geld- oder Warenbestandes an den Arbeitnehmer darlegen konnte; der weitergehende Nachweis einer Pflichtwidrigkeit hinsichtlich der Unmöglichkeit der Herausgabe war dann nicht mehr erforderlich. Auch hatte sich der Arbeitnehmer gem. § 282 BGB a.F. von dem Vorwurf des Verschuldens zu entlasten. Demgegenüber oblag bei der einfachen Schlechtleistung dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast nicht nur hinsichtlich der Pflichtverletzung, sondern auch des Verschuldens. Zwar wurde in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer die alleinige Verfügungsgewalt über den Geld- oder Warenbestand besaß, ein entsprechender Anscheinsbeweis zugunsten des Arbeitgebers angenommen, nicht aber eine Beweislastumkehr. Der Arbeitnehmer musste daher nicht den vollen Entlastungsbeweis führen, sondern lediglich den Anscheinsbeweis erschüttern; dabei genügte es, wenn der Arbeitnehmer die ernsthafte Möglichkeit eines die Haftung ausschließenden Geschehensverlaufs darlegen konnte, um die Beweislast wieder auf den Arbeitgeber zu verlagern.
Rz. 1104
Auch die neuere Rechtsprechung hat trotz erheblicher Kritik im Grundsatz an dem zweiteiligen Haftungskonzept festgehalten, wenn sie sich auch mittlerweile in der Annahme einer entsprechenden Pflichtenstellung des Arbeitnehmers außerordentlich restriktiv zeigt. Zur Begründung einer besonderen Pflichtenstellung wird gefordert, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich des Geld- oder Warenbestandes die Stellung eines unmittelbaren Besitzers erlangt hat. Dafür soll der alleinige Zugang zu dem Bestand und dessen selbstständige Verwaltung durch den Arbeitnehmer nicht mehr ausreichen, ebenso wenig eine nur eingeschränkte vorübergehende Sachherrschaft in Anwesenheit von Vorgesetzten. Erforderlich sei vielmehr, dass der Arbeitnehmer wirtschaftliche Überlegungen anzustellen und selbstständig Entscheidungen über die Verwendung des ihm anvertrauten Bestandes zu treffen hat, indem ihm bspw. eigene Vertriebsbemühungen oder Werbemaßnahmen obliegen und er Preise nicht nur berechnen, sondern auch selbstständig kalkulieren muss. Allein unter diesen Voraussetzungen habe der Arbeitnehmer einen eigenständigen Spielraum, der es rechtfertige, ihm die volle Verantwortung für die Herausgabe des verwalteten Bestandes aufzuerlegen.
Rz. 1105
Die praktischen Auswirkungen des zweiteiligen Haftungskonzepts sind mittlerweile nicht nur wegen der hohen Anforderungen, die an die Annahme einer vertraglichen Herausgabeverpflichtung gestellt werden, begrenzt. Dies beruht zum einen darauf, dass der Haftungsmaßstab unabhängig von dem Haftungsgrund einheitlich zu bewerten ist. Das BAG hat bei der Bewertung der gesetzlichen Mankohaftung die seit 1994 geänderte Rechtsprechung des Großen Senats zur Arbeitnehmerhaftung umgesetzt und die Grundsätze der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung einheitlich auch auf die Mankohaftung angewandt. Der begrenzte Haftungsmaßstab erfasst damit Fälle der Unmöglichkeit ebenso wie Fälle der Schlechtleistung, sodass es für den Umfang der Arbeitnehmerhaftung nicht mehr auf den Haftungsgrund ankommt. Zum...