Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 350
Das Arbeitsverhältnis wird durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – den Arbeitsvertrag – begründet, also durch die rechtsgeschäftliche Einigung zwischen den Vertragsparteien (Angebot und Annahme, §§ 145 ff. BGB), sog. Vertragstheorie. Durch den Arbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitnehmer zur Erbringung der Arbeitsleistung (§ 611a BGB), der Arbeitgeber zur Zahlung des zugesagten Arbeitsentgelts (§ 611a Abs. 2 BGB). Der Arbeitsvertrag ist Verpflichtungstatbestand und Rechtsgrund für die Erbringung der Arbeitsleistung und Vergütung – auch dann, wenn Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung den Inhalt des Arbeitsverhältnisses festlegen. Von dem Arbeitsvertrag hängt ab, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Daraus folgt heute unbestritten, dass die rechtsgeschäftliche Leistungsverpflichtung ausschließlich und allein durch den Arbeitsvertrag begründet wird. Das BAG hat das Erfordernis einer vertraglichen Begründung der Arbeitspflicht als Voraussetzung des Arbeitnehmerstatus auch zum Zwecke der Rechtswegbestimmung stets als unverzichtbar gehalten. Auf einen Vertragsschluss kann allein dann verzichtet werden, wenn das Arbeitsverhältnis durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes begründet wird (vgl. unten Rdn 357).
Rz. 351
Die früher vertretene Eingliederungstheorie, nach der das Arbeitsverhältnis nicht durch Vertrag, sondern allein durch die faktische Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers und in die bereits bestehende konkrete Gemeinschaft des Betriebes entsteht, ist überholt und wird, soweit ersichtlich, nicht mehr vertreten. Hinter der Eingliederungstheorie stand die Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftscharakter des Arbeitsverhältnisses, die dem Grundprinzip der privatautonomen Gestaltung von Arbeitsverhältnissen widerspricht.
Rz. 352
Für den Abschluss des Arbeitsvertrages gelten die Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Voraussetzung sind zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, §§ 145 ff. BGB. Dabei gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, § 105 GewO. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind in ihrer Entscheidung frei, ob und mit wem sie ein Vertragsverhältnis eingehen wollen.
Rz. 353
Die vertragliche Vereinbarung zur Erbringung der Arbeitsleistung gegen Entgelt ist zur wirksamen Begründung des Arbeitsverhältnisses ausreichend; ein zusätzlicher faktischer Konstitutivakt (z.B. tatsächliche Arbeitsaufnahme) ist grundsätzlich nicht erforderlich. Die Parteien können den Arbeitsvertrag jedoch unter der aufschiebenden Bedingung der tatsächlichen Arbeits-/Tätigkeitsaufnahme abschließen, § 158 Abs. 1 BGB (vgl. Rdn 361).
Rz. 354
Der Arbeitsvertrag muss nicht schriftlich und auch nicht ausdrücklich geschlossen werden. Ein Arbeitsvertrag kann auch stillschweigend durch bloße Tätigkeitsaufnahme des Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers zustande kommen, etwa wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufnimmt und der Arbeitgeber die erbrachte Leistung als Arbeitsleistung entgegennimmt und vergütet.
Rz. 355
Wird ein nichtiger oder unwirksamer Arbeitsvertrag in Vollzug gesetzt, so kommen die Grund-sätze über das faktische Arbeitsverhältnis zur Anwendung. Von einem "faktischen" (besser: "fehlerhaften") Arbeitsverhältnis wird gesprochen, wenn der Arbeitnehmer Arbeit ohne wirksame Vertragsgrundlage geleistet hat. Der Begriff faktisches Arbeitsverhältnis ist missverständlich, weil es – entsprechend der Vertragstheorie – auch hier in jedem Falle eines, wenn auch gestörten, Vertragsschlusses bedarf. Der fehlerhafte Arbeitsvertrag kommt also durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen und nicht lediglich durch die Arbeitsleistung zustande. Grundlage des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses ist ein geschlossener in Vollzug gesetzter Arbeitsvertrag, der von Anfang an wegen Rechtsverstoß (§§ 134, 138 BGB) nichtig oder rückwirkend wegen Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) vernichtet wird. Wegen der Schwierigkeit der Rückabwicklung entstehen nach der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis quasi-vertragliche Ansprüche; das Arbeitsverhältnis wird für die Vergangenheit bzw. die Dauer der tatsächlichen Beschäftigung wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis behandelt.
Rz. 356
Anwendbar sind die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses prinzipiell bei allen Nichtigkeitsgründen, etwa Geschäftsunfähigkeit des Arbeitnehmers, Formmangel, gesetzliche Verbote i.S.d. § 134 BGB, Nichtvorliegen öffentlich-rechtlicher Erlaubnisse, (etwa Arbeitserlaubnisse). Die Nichtigkeit eines Arbeitsverhältnisses hat in der Regel keine rückwirkende Kraft. Es ist für den Zeitraum, in dem es trotz der ihm anhaftenden Mängel in Funktion gesetzt war, wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis zu behandeln. Ausnahmen bestehen bei bewusstem Verstoß beider Vertragsparteien gegen Strafgesetze und krasser Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) des Arbeitsvertragsinhalts. Dann wird die Anwendu...