Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1653
Das Direktionsrecht ermöglicht dem Arbeitgeber, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht im Einzelnen nach Zeit, Art und Ort zu bestimmen. Es gehört zum wesentlichen Inhalt eines jeden Arbeitsverhältnisses. Dabei unterliegt das Direktionsrecht einer Vielzahl von Beschränkungen. So kann es durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt sein. Allerdings weist die höchstrichterliche Rechtsprechung der vergangenen zehn bis 15 Jahre die Tendenz auf, der dem Weisungsrecht des Arbeitgebers gesetzten Grenze "Arbeitsvertrag" die praktische Bedeutung zu nehmen und dadurch das Weisungsrecht zum "Königsrecht" bzw. zur "schärfsten Waffe" des Arbeitgebers zu machen. Die Rechtsprechung des BAG neigt dazu, strenge Anforderungen an das Vorliegen einer das Weisungsrecht beschränkenden arbeitsvertraglichen Abrede zu stellen.
Das arbeitgeberseitige Direktions-/Weisungsrecht darf nur nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB ausgeübt werden. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 S. 2 BGB. Auch die von den Parteien tatsächlich gelebte Vertragspraxis ist bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob eine Weisung des Arbeitgebers nach billigem Ermessen erfolgt ist.
Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Will der Arbeitgeber über die Grenzen des § 106 GewO hinaus die Tätigkeit und/oder ihre Bedingungen ändern, bedarf es eines wirksamen Versetzungsvorbehalts. Dieser unterliegt als Änderungsvorbehalt in Allgemeinen Geschäfts-/Arbeitsbedingungen der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Ergibt die Auslegung eines in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Versetzungsvorbehalts, dass diese Klausel inhaltlich der Regelung des § 106 S. 1 GewO entspricht, unterliegt sie keiner Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Die vertragliche Regelung muss die Beschränkung auf den materiellen Gehalt des § 106 GewO unter Berücksichtigung der für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Auslegungsgrundsätze aus sich heraus erkennen lassen. Die vorformulierte Zuweisungsklausel mit dem Inhalt, dass sich der Arbeitgeber vorbehält, einen Mitarbeiter entsprechend seinen Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen im Interesse des Unternehmens liegenden Tätigkeit zu betrauen und auch an einem anderen Ort zu beschäftigen, erweitert das Direktionsrecht des Arbeitgebers und ist weder gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam noch benachteiligt sie den Arbeitnehmer i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen. Sie verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) werden Arbeitnehmer durch die Vorbehalte in ihren Arbeitsverträgen nicht unangemessen benachteiligt. Das vereinbarte Recht zur Zuweisung eines anderen Arbeitsortes wird den Interessen beider Vertragsparteien gerecht. Im Rahmen der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Besonderheiten des Arbeitslebens zu berücksichtigen. Gefordert ist die Beachtung aller dem Arbeitsverhältnis innewohnenden Besonderheiten.
Behält sich der Arbeitgeber dagegen vor, ohne den Ausspruch einer Änderungskündigung einseitig die vertraglich vereinbarte Tätigkeit unter Einbeziehung geringer wertiger Tätigkeiten zu Lasten des Arbeitnehmers ändern zu können, liegt darin regelmäßig eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
aa) Konkretisierung der Arbeitspflicht
Rz. 1654
Durch die Ausübung seines Direktionsrechts ist es dem Arbeitgeber möglich, die von dem Arbeitnehmer zu verrichtenden Tätigkeiten, ihre Reihenfolge sowie die Begleitumstände der Arbeit festzulegen. Üblicherweise werden die dem Arbeitnehmer obliegenden Aufgaben und Tätigkeiten in einer Stellenbeschreibung zusammengefasst, um den Arbeitsplatz in seiner Wertigkeit und seinen Anforderungen beweisbar zu beschreiben. Auch wenn der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts grundsätzlich befugt ist, den Arbeitsbereich des Arbeitnehmers zu verkleinern, muss seine Maßnahme billigem Ermessen entsprechen (§ 315 Abs. 3 BGB). Dazu gehört...