Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 812
Ordnet der Arbeitgeber an, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit an einem anderen Ort als dem Üblichen zu verrichten hat, konkretisiert er hiermit gegenüber dem Arbeitnehmer die zu erbringende Arbeitsleistung. Er legt fest, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Aufgabe außerhalb des normalen Arbeitsortes zu erbringen hat. Damit weist er ihn zugleich an, zum Zielort zu reisen und dort zu arbeiten. Schließlich trifft er auch eine zeitliche Bestimmung, indem er den voraussichtlichen Beginn und das voraussichtliche Ende des auswärtigen Dienstgeschäfts und damit zugleich mittelbar die Reisezeiten festlegt. Allein aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber sein Direktionsrecht ausübt, kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass sämtliche Dienstreisezeiten auch vergütungspflichtig sind. Vielmehr ist zu differenzieren:
Rz. 813
Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der üblichen Dienstzeit an, eine Reise von seinem Dienstort an einen anderen Ort zu unternehmen und dort ein Dienstgeschäft auszuführen, so ist die Reisezeit Arbeitszeit in dienstvertraglicher Hinsicht und somit vergütungspflichtig. Dabei sind nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, sondern auch die vom Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zum Wohnort mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt vergütungspflichtig.
Rz. 814
Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, seinen Dienst einen vollständigen Tag oder mehrere Tage an einem anderen vertraglich vorgesehenen Arbeitsort aus zu verrichten, liegt in der Anweisung, die Arbeit an einem anderen Ort als üblich aufzunehmen, eine Zuweisung einer abweichenden Arbeitsstätte gemäß § 106 GewO. Der Arbeitnehmer hat also den Weg von seiner Wohnung zu diesem auswärtigen Dienstort als Wegezeit zurückzulegen, soweit nicht im Arbeitsvertrag abweichende Regelungen getroffen sind, beispielsweise ein konkreter Arbeitsort festgelegt ist. Es handelt sich nicht um eine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Eine Ausnahme hierzu gilt dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anweist, bereits die Zeiten der Anreise zum Dienstort mit bestimmten Inhalten zu füllen, z.B. also im Zug oder Flugzeug zu arbeiten. In einem solchen Fall liegt wiederum die Anordnung einer Arbeit vor, was die Wegezeiten vergütungspflichtig macht. Anders ist dies allerdings dann, wenn sich die Arbeit auf einen konkreten Betrieb oder Standort konkretisiert hat. Hat der Arbeitnehmer in einem solchen Fall seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen, gehört die Reise zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen. Dann gilt, dass erforderliche Reisezeiten mit der für die eigentliche Tätigkeit vereinbarten Vergütung zu bezahlen sind, sofern nicht durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung hierfür eingreift. Muss ein Arbeitnehmer, dessen vertraglicher Arbeitsort in Frankfurt ist, also an einem bestimmten Tag morgens um 08:00 Uhr seine Arbeit in Berlin antreten und dort einen Termin für den Arbeitgeber wahrnehmen, so beginnt die vergütungspflichtige Arbeitszeit des Arbeitnehmers beim Verlassen seines Wohnorts auf dem Weg zum Flughafen und endet erst nach Rückkehr.
Dasselbe gilt für Reisen, die wegen einer vorübergehenden Entsendung zur Arbeit ins Ausland erforderlich sind. Diese sind fremdnützig und damit jedenfalls dann Arbeit im vergütungsrechtlichen Sinn, wenn sie ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen. In diesem Fall gehören – wie die Fahrt des Arbeitnehmers zu und von einer (inländischen) auswärtigen Arbeitsstelle – Hin- und Rückreise bei der vorübergehenden Entsendung ins Ausland zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten.
Wird eine Flugreise erforderlich, ist grundsätzlich die Reisezeit erforderlich, die bei einem Direktflug in der Economy-Class anfällt, es sei denn, ein solcher wäre wegen besonderer Umstände dem Arbeitnehmer nicht zumutbar.
Rz. 815
Dauert die Dienstreise länger als einen Tag, so ist – wie auch beim Aufenthalt am üblichen Dienstort – nach vergütungspflichtigen Zeiten und Freizeit zu differenzieren. Zeiten, in denen der Arbeitnehmer an seinem vom üblichen Arbeitsort abweichenden Dienstort keine Arbeitsleistung zu erbringen hat, sondern frei ist zur Erledigung von Tätigkeiten des persönlichen Lebensbereichs (Essen, Einkaufen, Besichtigungen), sind nicht vergütungspflichtig, sondern Freizeit. Hieran ändert auch nichts der Umstand, dass der Arbeitnehmer ohne die entsprechende Weisung des Arbeitgebers seine Freizeit nicht an diesem Ort zu dieser Zeit verbracht hätte.
Rz. 816
Einen arbeitsrechtlichen Grundsatz dergestalt, dass an einem Tag mindestens diejenige Zeit vergütungspflichtig wäre, die der Arbeitnehmer an seinem üblichen Dienstort mit Arbeiten verbracht hätte, g...