Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1130
Eine gesetzliche Regelung zur Vergütung von Überstunden besteht gem. § 17 Abs. 3 BBiG nur für Auszubildende; eine vergleichbare Regelung für Arbeitnehmer existiert nicht. Eine Verpflichtung zur Vergütung von Überstunden ergibt sich auch nicht aus dem ArbZG. Anders als die zum 1.7.1994 außer Kraft getretene Arbeitszeitordnung, die in § 15 ArbZO für bestimmte Mehrarbeitszeiten einen "Anspruch auf eine angemessene Vergütung über den Lohn für die regelmäßige Arbeitszeit hinaus" begründete, beinhaltet das ArbZG im Hinblick auf die Länge der Arbeitszeit lediglich Schutznormen zugunsten der Arbeitnehmer; es enthält für Überstunden oder Mehrarbeit weder eine Vergütungsregelung noch lässt sich – etwa aus einer entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 5 ArbZG – ein Anspruch auf Überstundenzuschläge herleiten.
Rz. 1131
Dennoch kann sich bei fehlender – oder unwirksamer – arbeitsvertraglicher Regelung ein Vergütungsanspruch aus § 612 Abs. 1 BGB ergeben. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Das Bestehen einer solchen Vergütungserwartung, die sich auch auf übliche Überstundenzuschläge beziehen kann, ist anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen. Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass in dem jeweiligen Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen und ist deshalb faktisch die Regel. An einer berechtigten Vergütungserwartung wird es jedoch fehlen, wenn ein Teil der Arbeitsvergütung arbeitszeitunabhängig und erfolgsbezogen ausgestaltet ist, wenn Dienste höherer Art geschuldet sind, oder insgesamt eine deutlich herausgehobene, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitende Vergütung gezahlt wird.
Rz. 1132
Die Darlegungs- und Beweislast für einen Anspruch auf Überstundenvergütung liegt grds. bei dem Arbeitnehmer. Dabei genügt zunächst, darzulegen, an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat; im Sinne einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast hat dann der Arbeitgeber im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – nicht – nachgekommen ist. Wird die Arbeitszeit elektronisch erfasst und zeichnet der Vorgesetzte des Arbeitnehmers die Arbeitszeitnachweise ab, genügt es für den Arbeitnehmer, das Saldo der erfassten Stunden darzulegen. Der Arbeitgeber muss dann im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern, dass, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die von ihm erfassten und abgezeichneten Arbeitsstunden nicht geleistet wurden oder der behauptete Saldo sich durch konkret darzulegenden Freizeitausgleich vermindert hat. Auch soll der Arbeitgeber bei einem von ihm selbst geführten System der Arbeitszeiterfassung nicht einwenden können, die erbrachten Überstunden seien nicht geduldet gewesen. Im Hinblick auf die sich aus der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einführung eines verlässlichen, objektiven und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung, die das BAG nun auch aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG herleitet, ergibt sich zwar keine Veränderung der prozessualen Darlegungs- und Beweislast; dennoch wird bei pflichtwidriger Verletzung der Erfassungspflicht das einfache Bestreiten von Überstunden durch den Arbeitgeber nicht ohne Weiteres möglich sein. Zudem muss der Arbeitgeber der Behauptung der Erforderlichkeit von Überstunden entgegentreten und konkret darlegen, aus welchen Gründen die behauptete Ursache für die Überstundenleistung nicht vorgelegen haben oder warum der Arbeitnehmer seine Arbeitsaufgaben in der Normalarbeitszeit hätte erledigen können.
Rz. 1133
Um derartige Auseinandersetzungen zu vermeiden, aber auch um unnötige Überstunden zu vermeiden und die Überprüfung der tatsächlich geleisteten Arbeit zu erleichtern, kann der Anspruch auf Überstundenvergütung arbeitsvertraglich an formelle Bedingungen gebunden werden. Eine Vereinbarung, dass Überstunden vorab zu genehmigen sind, damit sie vergütungswirksam werden können, schützt auch den Arbeitnehmer auch davor, dass seine Erwartung fehlschlagen kann, etwaige von ihm aus eigenem Antrieb geleistete Überstunden würden nachträglich durch den Arbeitgeber genehmigt oder geduldet. Vereitelt der Arbeitgeber allerdings die Einhaltung der vertraglichen Vorgaben etwa durch eine hiervon abweichende betriebliche Organisation, kann er sich auf die vertragliche Vereinbarung mit Blick auf § 242 BGB nicht berufen.