Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 563
Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses, so ist er nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, mitzuteilen (§ 121 Abs. 1 BGB). Unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Bescheinigung über das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, deren voraussichtlicher Dauer und ggf. über Folgeerkrankungen vorzulegen. Es handelt sich damit um eine Pflichtuntersuchung, der sich der Arbeitnehmer von Gesetzes wegen zu unterziehen hat; er ist aber in der Wahl des Arztes weitgehend frei.
Eine Nachweispflicht besteht vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Vereinbarung während der ersten drei Kalendertage in der Regel nicht. Der Arbeitgeber ist aber berechtigt, die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung auch früher zu verlangen (§ 5 Abs. 1 S. 3 EFZG), z.B. schon am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit.
Rz. 564
Praxistipp
In der Praxis wird vielfach berichtet, dass Ärzte dazu tendieren, die Prognose der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeit pauschal auf das Ende der jeweiligen Woche zu datieren. Angesichts dessen kann es aus Sicht des Arbeitsgebers durchaus sinnvoll sein, von der Möglichkeit einer früheren Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keinen Gebrauch zu machen, weil ansonsten der Ausfall des Arbeitnehmers für die komplette Woche zu befürchten ist.
Rz. 565
Bei Erkrankungen im Ausland treffen den Arbeitnehmer die erweiterten Mitteilungs- und Nachweispflichten aus § 5 Abs. 2 EFZG. Die Benachrichtigung muss dem Arbeitgeber zeitgleich zugehen, also z.B. durch Telefon, Telefax, E-Mail o.Ä. Daneben bestehen dieselben Nachweispflichten wie bei einer Inlandserkrankung.
Rz. 566
Grundsätzlich kann die Verpflichtung eines Arbeitnehmers, sich auf Verlangen des Arbeitgebers regelmäßig während der Dauer des laufenden Arbeitsverhältnisses ärztlich untersuchen zu lassen, einzelarbeitsvertraglich vereinbart werden. Ohne besonderen Anlass ist der Arbeitnehmer aber nicht verpflichtet, Eingriffe in seine körperliche Integrität zu dulden, wie sie oftmals mit ärztlichen Untersuchungen verbunden sind. Eine allgemeine Untersuchungsklausel auf Verlangen des Arbeitgebers erfordert daher, sofern sie überhaupt wirksam vereinbart werden kann, überwiegende berechtigte Interessen des Arbeitgebers. Solche können z.B. in Fällen berührt sein, in denen es um die Arbeitssicherheit geht und in denen gewährleistet sein muss, dass hinreichende körperliche Leistungsfähigkeit besteht. Sie eignen sich daher nur für vereinzelte Anwendungsfälle, z.B. Kraftfahrer, Pilot, Gerüstbauer etc.
Rz. 567
Grundsätzlich gelten für krankheitsbedingte Arbeitsverhinderungen die Regelungen des EFZG. Bei vorübergehender Verhinderung, z.B. im Falle von Arztbesuchen, bei denen Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegt, bestimmt § 616 BGB, dass für die hierdurch entstehende persönliche Verhinderung der Vergütungsanspruch nicht erlischt, sofern die Verhinderung eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" nicht überschreitet. Kann der Arztbesuch außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, so hat sich der Arbeitnehmer um einen solchen Termin zu bemühen. Erforderlich ist allerdings stets, dass der Arztbesuch medizinisch notwendig ist. § 616 BGB ist durch TV, BV oder Individualvertrag abdingbar.
Rz. 568
Grundsätzlich unzulässig ist nach dem Gendiagnostikgesetz, das im Jahr 2010 in Kraft trat, die Veranlassung der Untersuchung von genetischen Eigenschaften durch den Arbeitgeber (§§ 19, 20 GenDG), auch bereits bei Stellenbewerbungen. Nach der gesetzlichen Definition des § 3 Nr. 4 GenDG sind genetische Eigenschaften alle ererbten oder während der Befruchtung oder bis zur Geburt erworbenen vom Menschen stammenden Erbinformationen.
Daraus wiederum folgt aber, dass z.B. nachträglich eintretende genetische Veränderungen, z.B. durch Strahlung, nicht unter das Verbot genetischer Untersuchungen fallen, weshalb ein "genetisches Monitoring" – etwa zur Krebsvorsorge am Arbeitsplatz – oder virale Untersuchungen (Antikörpertests) nicht unter die Verbote des § 19 GenDG fallen. Auch für herkömmliche Untersuchungen gelten weiterhin die bisherigen Maßstäbe.
Rz. 569
Vergleichbar dem AGG enthalten §§ 4 bzw. 21 Abs. 1 GenDG Diskriminierungsverbote bezüglich genetischer Eigenschaften, deren Verletzung Schadensersatzansprüche aus §§ 15 bzw. 22 AGG auslösen (§ 21 Abs. 2 GenDG). Dem benachteiligten Bewerber/Arbeitnehmer können Ansprüche auf Ersatz materieller bzw. immaterieller Schäden zustehen (vgl. Rdn 96).