Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 489
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, so hat der Arbeitnehmer an dem darauffolgenden Arbeitstag eine Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen, § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG. Mit Wirkung ab dem 1.1.2023 hat § 5 Abs. 1a EFZG für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind, die Vorlagepflicht modifiziert (siehe Rdn 496 f.). Von dieser Regelung sind Arbeitnehmer ausgenommen, die eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben (§ 8a SGB IV) oder ihre Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, haben feststellen lassen.
Kalendertage sind alle Tage eines Jahres. Der Begriff des Arbeitstages hingegen ist umstritten. Teilweise wird vertreten, dass er subjektiv, also nach der individuellen Arbeitsverpflichtung des erkrankten Arbeitnehmers zu bestimmen ist. Wohl überwiegend wird hingegen auf die Tage abgestellt, in denen im Betrieb üblicherweise gearbeitet wird. Bei individueller Betrachtung kann auch der Samstag und im Einzelfall auch der Sonntag (bei vollkontinuierlicher Betriebsarbeitszeit) Übergabetag für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sein, wenn der Arbeitnehmer an diesem Tag eine Arbeitsverpflichtung hatte. Zur Klarstellung und zur Vermeidung von Streitigkeiten empfiehlt es sich, eine ausdrückliche Regelung dazu zu treffen, ob "Arbeitstag" im Einzelfall den Arbeitstag meint, an dem der Arbeitnehmer individuell (nach seiner Schichteinteilung bzw. individueller Arbeitszeitregelung) zur Arbeitsleistung verpflichtet wäre, oder ob auf Tage abgestellt wird, in denen im Betrieb üblicherweise gearbeitet wird.
Rz. 490
Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher vorlegen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung schon von dem ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen. Die Ausübung dieses Rechts steht im freien, nicht im gebundenen Ermessen des Arbeitgebers und ist nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft. Das Verlangen des Arbeitgebers wird keiner Billigkeitskontrolle unterworfen, und er ist keinem Begründungszwang ausgesetzt. Jedoch darf die Aufforderung zur frühen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht schikanös oder willkürlich erfolgen und weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen Diskriminierungsverbote verstoßen.
Die Aufforderung zur frühen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Einzelfall erfolgt mangels kollektiven Tatbestands ohne Beteiligung des Betriebsrats. Trifft der Arbeitgeber generelle Anordnungen über die frühere Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
Rz. 491
Das Verlangen kann antizipiert und allgemein abstrakt vor der Erkrankung durch vertragliche Vereinbarung gestellt sein. Eine solche Regelung in AGB ist nicht unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB.
Ist das Verlangen gestellt, so muss die Bescheinigung noch am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber übergeben werden, jedenfalls am nächsten Tag, sofern nur der erste Fehltag von der Bescheinigung abgedeckt ist und eine Übergabe am ersten Tag weder möglich noch zumutbar war.
Rz. 492
Die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung obliegt dem Arzt. Er muss die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit (nicht nur der Erkrankung) sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit testieren. Fehlt eine dieser Angaben, so darf der Arbeitgeber sie zurückweisen und den Arbeitnehmer auffordern, eine ordnungsgemäße Bescheinigung beizubringen (zur Leistungsverweigerung in einem solchen Fall, vgl. Rdn 506). Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthält keine Angaben über die Ursache der Arbeitsunfähigkeit und die zugrundeliegende Erkrankung.
Rz. 493
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss von einem approbierten Arzt ausgestellt sein; die Bescheinigung von ärztlichem Hilfspersonal oder eines Heilpraktikers genügt nicht. Der Arbeitnehmer hat die freie Wahl, welchen Arzt er aufsuchen will; der gesetzlich Versicherte muss auch keinen Kassenarzt aufsuchen. Der Arbeitnehmer kann nicht gezwungen werden, sich an einen bestimmten Arzt wie den Betriebs- oder Werksarzt zu wenden. Das kann auch nicht in Verträgen und Vereinbarungen verabredet oder bestimmt werden.
Rz. 494
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als zunächst bescheinigt, hat der Arbeitnehmer unverzüglich eine neue Bescheinigung (Folgebescheinigung) vorzulegen. Die Pflicht zur Vorlage von Folgebescheinigungen besteht auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums fort. Seit dem 1.1.2016 enthalten die Ausfertigungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die für die Krankenkasse und den versicherten Arbeitnehmer bestimmt sind, ebenso wie der Vordruck, der beim behandelnden Arzt verbleibt, am Ende ein neues Kästchen "...