Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 244
Von dem Verbot der Abwerbung von Kollegen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zu unterscheiden sind Abwerbeverbote für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Anders als während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gilt nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr das allgemeine vertragliche Wettbewerbsverbot nach § 60 BGB. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses endet gleichzeitig auch die Pflicht des Arbeitnehmers zur Wettbewerbsenthaltung. Der Arbeitgeber kann sich vor einer nachvertraglichen konkurrierenden Tätigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Vereinbarung eines bezahlten und auf höchstens zwei Jahre befristeten Wettbewerbsverbots schützen. Eine Regelung in einem Aufhebungsvertrag, mit der dem Arbeitnehmer für die Zeit nach der Vertragsbeendigung der Wettbewerb untersagt wird, ist daher richtigerweise als nachvertragliches Wettbewerbsverbot auszulegen. Fehlt es an einer rechtswirksamen Wettbewerbsabrede, kann der Arbeitnehmer wie jeder Dritte zu seinem ehemaligen Arbeitgeber in Wettbewerb treten. Hierbei kann er sein im Arbeitsverhältnis erworbenes Erfahrungswissen einschließlich der Kenntnis von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einsetzen und in den Kunden- und Arbeitnehmerkreis des Arbeitgebers eindringen. Auch die Abwerbung einzelner ehemaliger Kollegen ist dann zulässig.
Rz. 245
Ungeachtet dessen ist der Arbeitnehmer auch nachvertraglich nicht vollständig frei hinsichtlich möglicher Eingriffe in den rechtlichen Interessensbereich des Arbeitgebers. Zwar hat ein Unternehmer keinen Anspruch auf den Bestand seiner Mitarbeiter. Das Abwerben von Mitarbeitern eines Konkurrenten ist Teil des freien Wettbewerbs und als solches grundsätzlich erlaubt. Dies gilt auch dann, wenn die Abwerbung bewusst und planmäßig erfolgt. Treten allerdings besondere Umstände hinzu, kann das Abwerben von Mitarbeitern durch Mitbewerber, auch ehemalige Arbeitnehmer, im Einzelfall nach § 3 UWG oder § 4 Nr. 10 UWG wettbewerbswidrig sein. Hiervon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn das betreffende Verhalten bei objektiver Würdigung der Umstände in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerbsrechtlichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet ist, oder wenn die Behinderung derart gravierend ist, dass der beeinträchtigende Mitbewerber seine Leistungen am Markt durch eigene Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann, oder wenn unlautere Mittel oder Methodeneingesetzt werden. Unlauter bedient sich der ausgeschiedene Mitarbeiter, wenn er die Entscheidungsfreiheit der umworbenen Ex-Kollegen ernsthaft beeinträchtigt, etwa durch Überrumpelung oder übertriebenes Anlocken. Selbst ein zu Abwerbungszwecken geführtes Telefongespräch, das über eine bloße Kontaktaufnahme hinausgeht, kann bereits als wettbewerbswidrig beurteilt werden.
Rz. 246
Handelt der ausgeschiedene Mitarbeiter nicht wettbewerbswidrig, ist er grundsätzlich nicht an einer Abwerbung gehindert. Für die Frage, ob zur einzelvertraglichen Änderung dieser Rechtslage eine entsprechende arbeitsvertragliche Bindung zulässig ist, ist danach zu differenzieren, ob dem Arbeitnehmer eine Abwerbung im Rahmen einer späteren eigenen Selbstständigkeit verboten wird oder (auch) eine Abwerbung für einen späteren anderen Arbeitgeber.
(1) Verbot der Abwerbung bei eigener späterer Selbstständigkeit (eigennütziges Verbot)
Rz. 247
Wird dem Arbeitnehmer bereits im Arbeitsvertrag pauschal die spätere Abwerbung ehemaliger Kollegen verboten oder gar konkret bezogen auf eine spätere eigene Selbstständigkeit des Arbeitnehmers, ist dies ein Anwendungsfall des § 75f HGB. Denn der bisherige Arbeitnehmer wird als selbstständiger Prinzipal tätig und verpflichtet sich in der Klausel, Arbeitnehmer des bisherigen Arbeitgebers nicht abzuwerben, sich also insoweit im Wettbewerb einzuschränken. Eine solche Klausel ist daher als nachvertragliches Wettbewerbsverbot auszulegen. Sie ist ohne Vereinbarung einer Karenzentschädigung nach § 75f HGB unverbindlich und kann durch jede der beiden Parteien jederzeit und ohne Angabe von Gründen beendet werden. Es besteht weder ein Erfüllungszwan...