Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 455
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, sofern nicht eine günstigere Regelung besteht. Dem Sechs-Wochen-Zeitraum entsprechen 42 Kalendertage, unabhängig davon, welche Tage in diesem Zeitraum als Arbeitstage ausgefallen sind; zu den 42 Tagen zählen demnach auch alle Sonn- und Feiertage, freien Tage aufgrund eines Schichtplans, aufgrund Freizeitausgleichs etc.
Der Anspruchszeitraum wird nicht dadurch erschöpft, dass das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ruht. Während dieser Zeit entfallen die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien mit der Folge, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat und damit auch der Anspruchszeitraum unberührt bleibt. Der Sechs-Wochen-Zeitraum beginnt dann erst mit der tatsächlichen Verhinderung an der Arbeitsleistung infolge der Krankheit; das ist der Zeitpunkt der "Aktualisierung des Arbeitsverhältnisses".
Rz. 456
Wird dem Arbeitnehmer nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit erneut arbeitsunfähig krank, kommt es für den erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlung darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit beruht oder ob eine andere Krankheit Auslöser für die Arbeitsverhinderung ist.
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Hat die erneute Arbeitsunfähigkeit eine andere Krankheitsursache, hat der Arbeitnehmer den "normalen" Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von bis zu sechs Wochen, § 3 Abs. 1 EFZG. |
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Wird der Arbeitnehmer aufgrund derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig (sog. Fortsetzungserkrankung), erhält er Entgeltfortzahlung nur dann, wenn er entweder vor der erneuten Erkrankung mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist, § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG. |
Für die Entgeltfortzahlung bei der Spende von Organen und Gewebe gilt diese Vorschrift entsprechend, § 3a Abs. 1 S. 2 EFZG.
Rz. 457
Für das Vorliegen einer den Anspruch ausschließenden Fortsetzungserkrankung gilt eine abgestufte Darlegungslast. Da der Arbeitgeber keine Kenntnis von den Umständen der Krankheitsursache hat, hat zunächst der Arbeitnehmer, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S. 2 BGB (sechs bzw. zwölf Monate) arbeitsunfähig erkrankt, zunächst darzulegen, dass keine Fortsetzungserkrankung sondern eine neue Krankheit vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, und ggf. den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung (sog. "non-liquet") sind jedoch vom Arbeitgeber zu tragen, da er die Beweislast für die Fortsetzungserkrankung trägt.
Rz. 458
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung endet mit dem Zeitpunkt, den der behandelnde Arzt als letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit bezeichnet, spätestens mit Ablauf des 42. Kalendertags (sechs Wochen). Endet das Arbeitsverhältnis während des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit, so endet grundsätzlich auch der Entgeltfortzahlungsanspruch. Eine Ausnahme sieht § 8 EFZG bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses "aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit" vor: der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird dann nicht berührt. Die Sicherung geht allerdings inhaltlich und zeitlich nicht weiter als bei der Entgeltfortzahlung im bestehenden Arbeitsverhältnis. So endet die Verpflichtung des Arbeitgebers spätestens nach sechs Wochen, und wird auch nicht durch eine hinzutretende Krankheit verlängert (Einheit des Verhinderungsfalls).