Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 1259
Der zweite sachenrechtliche Herausgabeanspruch, nämlich der Herausgabeanspruch des Besitzers, dem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen worden ist, setzt nach § 861 Abs. 1 BGB zunächst voraus, dass der Arbeitgeber Besitzer des entzogenen Gegenstandes gewesen ist. Diese Voraussetzung dürfte regelmäßig in Fallkonstellationen, in denen der Arbeitnehmer den Gegenstand gegen oder ohne den Willen des Arbeitgebers an sich genommen hat, zu bejahen sein. Auch bei den Gegenständen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zum Zwecke der Erbringung der Dienstleistung überlassen hat, ist der Arbeitgeber in der Regel Besitzer, während der Arbeitnehmer lediglich Besitzdiener i.S.v. § 855 BGB ist, weil er den Weisungen des Besitzers, also des Arbeitgebers, im Hinblick auf die Sache Folge zu leisten hat. Problematisch sind demgegenüber die Fallgestaltungen, in denen der Gegenstand überhaupt erst durch die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entsteht. Auch hier wird man im Regelfall davon ausgehen können, dass mit der Entstehung der Arbeitgeber Besitzer wird, während der Arbeitnehmer lediglich Besitzdiener ist. Ein unmittelbarer Besitz des Arbeitnehmers kann nur dann angenommen werden, wenn dieser den alleinigen Zugang zu der Sache inne hat und diese selbstständig zu verwalten hat. Hierzu muss er praktische Überlegungen anstellen und Entscheidungen über die Verwendung der Sache zu treffen haben.
Der Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB setzt weiter voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Besitz mit verbotener Eigenmacht, also widerrechtlich entzogen hat. Diese Voraussetzung kann bei dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Gegenständen vorliegen, wenn der Arbeitnehmer den Gegenstand bewusst und gewollt aus dem Herrschaftsbereich und Zugriff des Arbeitgebers entfernt hat, also den ursprünglich von ihm als Besitzdiener innegehabten Gegenstand dem Arbeitgeber mit dem Willen entzieht, eigenen unmittelbaren Besitz zu begründen und so das Besitzdiener-Verhältnis durch verbotene Eigenmacht in einen unmittelbaren widerrechtlichen Besitz verwandelt. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unerlaubt Geschäftsunterlagen oder sonstige Dokumente des Arbeitgebers an sich bringt, selbst wenn er damit eigene Ansprüche gegen den Arbeitgeber in einem Arbeitsgerichtsprozess belegen will. Denkbar sind auch Konstellationen, in denen sich der Arbeitnehmer durch verbotene Eigenmacht erstmalig Besitz an vorher im unmittelbaren Besitz des Arbeitgebers befindlichen Gegenständen verschafft, indem er sie widerrechtlich wegnimmt. Insgesamt hat der besitzrechtliche Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB im Arbeitsleben eine eher geringe Bedeutung.