Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 412
Abzugrenzen von der Frage der Arbeitsunfähigkeit am konkreten Arbeitsplatz ist nach teilweise vertretener Auffassung die sogenannte Teilarbeitsunfähigkeit. Diese soll vorliegen, wenn der Arbeitnehmer trotz Erkrankung die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten – teilweise noch erbringen kann, wenn auch in geringerem zeitlichen Umfang oder unter Herausnahme einzelner Arbeitsschritte, die wegen der Erkrankung punktuell nicht ausgeführt werden können.
Rz. 413
Das BAG erkennt eine solche "Teilarbeitsunfähigkeit" im Rahmen des EFZG jedoch nicht an. Es gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip: der Arbeitnehmer ist entweder voll arbeitsfähig oder voll arbeitsunfähig, niemals teilweise arbeitsfähig. Dies hat zur Folge, dass auch eine nur reduzierte Arbeitsfähigkeit ("Teilarbeitsunfähigkeit") entgeltfortzahlungsrechtlich zur vollen Arbeitsunfähigkeit führt. Auch der "nur" vermindert Arbeitsfähige ist im Sinne der einschlägigen entgeltfortzahlungsrechtlichen Regelungen vollständig arbeitsunfähig, eben weil er die konkrete vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht voll erfüllen kann. Der Arbeitgeber kann auch nicht eine Teiltätigkeit verlangen und umgekehrt einen Teil der Entgeltfortzahlung verweigern. Jedoch soll eine abweichende Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien im Rahmen der geltenden Gesetze und Tarifverträge möglich sein. Zu beachten ist insoweit aber, dass hierunter nach Ansicht des BAG nicht die Fälle fallen sollen, in denen der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehindert ist, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen gerecht zu werden.
Rz. 414
An diesem Alles-oder-Nichts-Prinzip ändern auch die Regelungen zur stufenweisen Wiedereingliederung (§ 74 SGB V) nichts. Danach soll der Arzt, wenn arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten können und durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden können, auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der (noch oder wieder) möglichen Tätigkeit angeben. Während einer stufenweisen Wiedereingliederung bleibt der Arbeitnehmer voll arbeitsunfähig, und wird nicht arbeitsfähig, auch nicht teilweise. Während der stufenweisen Wiedereingliederung liegt kein Arbeitsverhältnis vor. Es handelt sich vielmehr um ein Rechtsverhältnis eigener Art, das durch freie Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien zustande kommt (§ 305 BGB). Die gegenseitigen Hauptleistungspflichten (Arbeitsentgelt; Leistung) ruhen; es bestehen lediglich Schutz- und Nebenpflichten. Die Krankenkasse bleibt weiterhin zur Zahlung des vollen Krankengeldes verpflichtet.