Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 1283
§ 306 Abs. 2 BGB bestimmt, dass sich der Inhalt des Vertrages nach den gesetzlichen Vorschriften richtet, "soweit Bestimmungen unwirksam sind". Darin kommt der Grundsatz der Lückenfüllung durch dispositives Recht zum Ausdruck. Zuvor jedoch ist zu prüfen, ob die unwirksame Klausel in irgendeiner Form noch aufrechterhalten bleiben kann.
aa) Geltungserhaltende Reduktion?
Rz. 1284
Eine geltungserhaltende Reduktion dient dazu, eine unangemessene oder unwirksame Klausel auf das zulässige Maß zu reduzieren, um damit die Geltung so weit wie möglich zu erhalten.
Rz. 1285
Zum Teil sieht das Gesetz die Aufrechterhaltung unwirksamer Abreden ausdrücklich vor.
Beispiel 1: § 89 Abs. 2 S. 2 HGB, Kündigungsfristen bei Handelsvertreterverträgen
Werden die gesetzlichen Kündigungsfristen verlängert, darf die Kündigungsfrist für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den Handelsvertreter. Vereinbaren die Parteien dennoch für den Unternehmer eine kürzere Kündigungsfrist als für den Handelsvertreter, gilt nach der Fiktion des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB die für den Handelsvertreter vereinbarte längere Kündigungsfrist auch für den Unternehmer.
Beispiel 2: § 74a Abs. 1 S. 2 HGB/unverbindliches Wettbewerbsverbot
Das Wettbewerbsverbot ist nur insoweit unverbindlich, wie es die Grenzen des § 74a HGB überschreitet. Soweit sich dieses im zulässigen Rahmen hält, bleibt es wirksam und muss vom Arbeitnehmer eingehalten werden. Es findet also eine geltungserhaltende Reduktion statt. Ist etwa der Arbeitnehmer für das Gebiet der gesamten Bundesrepublik gesperrt, so kann es auf ein Bundesland zu reduzieren sein.
Im Übrigen gilt auch im Arbeitsrecht das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, § 306 Abs. 2 BGB. Danach richtet sich bei Unwirksamkeit einer Bestimmung der Inhalt des Vertrages nach den gesetzlichen Vorschriften. Der Arbeitgeber als Verwender vorformulierter Verträge kann also nicht ungefährdet bis zur Grenze dessen gehen, was zu seinen Gunsten in gerade noch vertretbarer Weise angeführt werden kann, sondern soll das Risiko einer vollständigen Klauselunwirksamkeit tragen ("Alles-oder-Nichts-Prinzip").
Rz. 1286
Das BAG nahm vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes einzelfallbezogen eine geltungserhaltende Reduktion an. Beispielsweise wurde:
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eine überhöhte Bindungsdauer bei der Verpflichtung zur Rückzahlung von Fortbildungskosten geltungserhaltend auf ein angemessenes Maß herabgesetzt. |
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eine unangemessen niedrige Ausbildungsvergütung geltungserhaltend auf ein angemessenes Maß angehoben. |
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eine Rückzahlungsklausel über Sondergratifikationen angepasst. |
Andere Verstöße führten zur vollen Unwirksamkeit, ohne dass eine geltungserhaltende Reduktion stattfand. Beispielsweise führte:
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eine unklare Regelung zur Karenzentschädigung zur Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots insgesamt. |
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eine überraschende Ausschlussklausel insgesamt zur Unwirksamkeit. |
Das BAG lehnt seit der Schuldrechtsreform eine geltungserhaltende Reduktion ab. Ist eine Vertragsstrafe in einem Formulararbeitsvertrag zu hoch, kann diese nicht mehr auf ein zulässiges Maß reduziert werden. Auch der Rechtsgedanke des § 343 BGB kann nicht zu einer Herabsetzung der Vertragsstrafe auf das angemessene Maß führen.
Rz. 1287
Sog. Reduktionsklauseln im Arbeitsvertrag sehen eine geltungserhaltende Reduktion, wie sie das Gesetz verbietet, vor: Danach gilt bei Unwirksamkeit einer Bestimmung diejenige wirksame Bestimmung als vereinbart, die der unwirksamen Bestimmung wirtschaftlich am Nächsten kommt. Reduktionsklauseln sind jedenfalls in Formulararbeitsverträgen unwirksam. So kann etwa eine zu kurz bemessene Ausschlussfrist durch eine salvatorische Klausel nicht gerettet werden; diese ist unwirksam. Jedoch kann sich der Verwender nicht auf die Unwirksamkeit seiner AGB berufen.
In Individualvereinbarungen jedoch ist eine Reduktionsklausel weiterhin empfehlenswert. Es spricht nichts dagegen, dass das BAG seine frühere Rechtsprechung zur Zulässigkeit geltungserhaltender Reduktion jedenfalls bei Individualvereinbarungen weiterhin anwendet. Wird dann etwa eine Ausschlussfrist als zu kurz angesehen, würde an die Stelle der zu kurzen Frist die angemessene Frist treten ("das nächstliegende rechtlich zulässige Maß").
Im Fall einer zulässigen Reduktionsklausel fiele dann dem Gericht die Entscheidung darüber zu, was dem Willen der Parteien in zulässiger Weise entspricht. Nicht immer wird ein Gericht diese Aufgabe leisten können.