Dr. Katja Francke, Dr. Norma Studt
1. Rechtliche Grundlagen
Rz. 901
Für in Gesellschaftsform betriebene Unternehmen ist die Konkurrenz durch ihre Organe, namentlich die Vorstandsmitglieder bei einer Aktiengesellschaft und den Geschäftsführer bei einer GmbH, wegen deren umfassenden Einblicks in alle Geschäftsvorgänge der Gesellschaft wesentlich gefährlicher als die Konkurrenz von Arbeitnehmern. Während ihrer Organstellung unterliegen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften einem gesetzlichen Wettbewerbsverbot aus § 88 AktG. Bei Geschäftsführern einer GmbH ergibt sich dieses Wettbewerbsverbot auch ohne gesetzliche Regelung oder gesonderte vertragliche Vereinbarung aus ihrer Treuepflicht.
Rz. 902
Nach der rechtlichen und tatsächlichen Beendigung ihrer Organtätigkeit und der Beendigung ihrer Anstellungsverträge besteht aber trotz nachvertraglicher Treue- bzw. Loyalitätspflicht und nachvertraglicher Verschwiegenheitspflicht (vgl. § 85 GmbHG und § 404 AktG) ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Ob und inwieweit für solche Vereinbarungen die Schutzvorschriften der §§ 74 ff. HGB gelten, ist umstritten. Da Organmitglieder juristischer Personen mangels persönlicher Abhängigkeit grds. nicht dem Arbeitnehmerbegriff unterfallen, kommt allenfalls eine entsprechende Anwendung in Betracht. Diese wird von Teilen der Lit. jedenfalls für Fremdgeschäftsführer der GmbH mit Hinweis auf deren wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zur Gesellschaft und ihrer damit verbundenen sozialen Schutzbedürftigkeit befürwortet. Der BGH lehnt dagegen in ständiger Rechtsprechung die Anwendbarkeit der §§ 74 ff. HGB auf Organmitglieder juristischer Personen ab und misst mit ihnen vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbote lediglich an § 138 BGB unter Berücksichtigung der Wertungen aus Art. 2 und 12 GG. Die §§ 74 ff. HGB werden nur insoweit entsprechend herangezogen, als sie vorrangig die Wahrung des Unternehmensinteresses verfolgen.
Rz. 903
Der BGH nimmt hierbei eine zweistufige Prüfung vor. Auf erster Stufe prüft der BGH, ob durch das Wettbewerbsverbot ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers geschützt werden soll. Auf der zweiten Stufe kommt es dann darauf an, ob das Verbot nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und die wirtschaftliche Tätigkeit des Organmitglieds unbillig erschwert. Liegt auf erster Stufe schon kein berechtigtes Interesse vor, dann ist das Wettbewerbsverbot gemäß § 138 BGB nichtig.
Zwar können auch Organmitglieder, insbesondere der Fremdgeschäftsführer einer GmbH, in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Unternehmen stehen. Dennoch ist die Interessenlage nicht vergleichbar, da Organe des Unternehmens wegen ihrer Repräsentationsfunktion im Mittelpunkt der geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft stehen und so ihre nachvertragliche Konkurrenztätigkeit wesentlich höhere Risiken für das Unternehmen bedeutet. Mit der herrschenden Auffassung ist deshalb selbst für Fremdgeschäftsführer der GmbH oder Vorstandsmitglieder mit ausgeprägtem Abhängigkeitsverhältnis zur Gesellschaft keine Ausnahme von der Rechtsprechungslinie des BGH zu machen.
Da angesichts der Kritik aus dem Schrifttum eine Rechtsprechungsänderung des BGH nicht auszuschließen ist, bietet sich jedenfalls bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten mit Fremdgeschäftsführern einer GmbH als sicherster Weg an, die Anwendbarkeit der §§ 74 ff. HGB zu vereinbaren (siehe unten Rdn 920).
Rz. 904
Sind die §§ 74 ff. HGB nicht anwendbar, besteht auch kein gesetzliches Formerfordernis (also das der Schriftform), wenngleich die schriftliche Niederlegung der Vereinbarung aus Dokumentationszwecken zu empfehlen ist. Wird das nachvertragliche Wettbewerbsverbot vorformuliert, müssen neben der Sittenwidrigkeitsgrenze aus § 138 BGB die §§ 305 ff. BGB beachtet werden. Denn die in § 310 Abs. 4 S. 1 BGB enthaltene Bereichsausnahme für Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts gilt nicht für die als Dienstverträge i.S.d. §§ 611 ff. BGB einzuordnenden Anstellungsverträge der Organmitglieder. Da es sich bei der Tätigkeit als Organ um eine unselbstständige Tätigkeit i.S.d. § 13 BGB handelt, sind sowohl GmbH-Geschäftsführer als auch Vorstandsmitglieder einer AG Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift. Für die Verbrauchereigenschaft kommt es auch nicht darauf an, ob das Organmitglied gleichzeitig Gesellschafter ist, denn auch das Halten eines Gesellschaftsanteils ist keine selbstständige, gewerbliche Tätigkeit, sondern bloße Vermögensverwaltung. Es gilt deshalb § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, so dass es für die Anwendbarkeit der §§ 305c, 306–309 BGB bereits ausreicht, wenn das vorformulierte nachvertragliche Wettbewerbsverbot nur zur einmaligen Verwendung durch die Gesellschaft bestimmt ist.
Rz. 905
Sofern das Wettbewerbsverbot auch die selbstständige Tätigkeit des Organmitglieds erfasst, ist außerdem der Anwendungsbereich des Kartellverbots in § 1 GWB eröffnet, da...