Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 93
Der Arbeitsvertrag kann aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bis zum vereinbarten Vertragsende nicht zugemutet werden kann, § 626 Abs. 1 BGB.
Rz. 94
Zunächst ist zu prüfen, ob der Sachverhalt an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung abzugeben. Ist das der Fall, kommt es darauf an, ob bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Beteiligter die konkrete Kündigung gerechtfertigt und somit verhältnismäßig ist. Dabei sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Auch Unterhaltspflichten und Familienstand können – je nach Lage des Falles – Bedeutung gewinnen und sind jedenfalls nicht von vornherein von der Berücksichtigung ausgeschlossen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche mildere Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Ist die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, kann sie in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Erklärungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist.
Rz. 95
Der bei weitem häufigste Fall ist die verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung. Sie setzt in der Regel voraus, dass der Gekündigte seine vertraglichen Pflichten rechtswidrig und schuldhaft verletzt hat. Im Einzelfall kann eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt sein, wenn dem Gekündigten das Fehlverhalten zwar nicht vorwerfbar ist, sein Verhalten die betriebliche Ordnung aber besonders nachhaltig stört. Typische Fallgruppen der fristlosen Kündigung sind die beharrliche Arbeitsverweigerung, die grobe Beleidigung des Arbeitgebers bzw. von Vorgesetzten, die unerlaubte Konkurrenz/Nebentätigkeit, die Annahme von Schmiergeldern, die Begehung von Straftaten oder aber die konkrete Störung des Betriebsfriedens. In Betracht kommt eine fristlose Kündigung ferner bei sexueller Belästigung, eigenmächtiger Urlaubsinanspruchnahme, dem Missbrauch von Kontrolleinrichtungen wie einer Stechuhr oder von elektronischen Zugangssystemen, dem Vortäuschen der Aufgabenerfüllung, unerlaubtem Telefonieren, oder einer nicht erlaubten intensiven Nutzung des Internets zu privaten Zwecken. Auch die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. So kann der Arbeitnehmer auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet sein, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen, wenn ein Bezug zur dienstlichen Tätigkeit gegeben ist oder aber negative Auswirkungen auf den Betrieb gegeben sind. Auf eine Freistellung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist muss sich der Arbeitgeber nicht verweisen lassen. Die Kündigungsgründe des § 626 Abs. 1 BGB können auch nicht einzelvertraglich erweitert werden.
Rz. 96
Eine rechtswidrige und vorsätzliche bzw. ggf. strafbare Handlung unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers kann auch dann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn sie Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise gar keinem Schaden geführt hat. An dieser Rechtsprechung hält das BAG auch nach der umstrittenen "Emmely-Entscheidung" fest. Allerdings, so der Senat, werde eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Hierbei komme es nicht auf die subjektive Einschätzung des Arbeitgebers an. Maßgeblich sei, ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsse, dass dieser in Zukunft seine Vertragspflichten korrekt erfüllen werde.
Rz. 97
Betriebsbedingte Gründe können eine außerordentliche Kündigung nur in extremen Ausnahmefällen rechtfertigen und sind dann nur unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist, die der ansonsten einzuhaltenden ordentlichen Kündigungsfrist entspricht, zulässig. Entschieden wurde dies beispielsweise im Fall der "Unkündbarkeit" und ferner dann, wenn der Arbeitgeber andernfalls gezwungen wäre, über viele Jahre hinweg ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis allein durch Gehaltszahlungen aufrechtzuerhalten. Auch in diesen Fällen trifft den Arbeitgeber aber in besonderem Maße die Pflicht zu versuchen, die Kündigung durch geeignete Maßnahmen zu vermeiden.
Rz. 98
Spezialfall der außerordentlichen Kündigung ist die sog. Verdachtskündigung. Sie setzt den dringenden Tatverdacht eines schweren Versto...