Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 42
Die Dringlichkeit ist ein Korrektiv für Unternehmerentscheidungen. Im Einzelfall kann die Wirksamkeit einer Kündigung daran scheitern, dass alternativ eine Arbeitsstreckung in Betracht kommt, weil nur ein vorübergehender witterungsbedingter Auftragsmangel vorlag. Ein betriebliches Erfordernis ist zudem dann nicht dringend, wenn statt der betriebsbedingten Kündigung Überstunden abgebaut werden können, die andere Arbeitnehmer im Betrieb dauerhaft leisten. Darin muss aber ein ständiger Personalbedarf zum Ausdruck kommen. Das ist nicht der Fall, wenn Mehrarbeit – vom Arbeitgeber nachgewiesenermaßen – geleistet wurde, um eine termingebundene Arbeit abzuschließen oder wenn damit saisonbedingt auftretende kurze Auftragsspitzen im Rahmen einer flexiblen Arbeitszeitregelung aufgefangen werden.
Rz. 43
Gleiches gilt nach einer Auffassung, wenn Daueraufgaben im Betrieb von Leiharbeitnehmern erbracht werden, und sich der (gekündigte) Arbeitnehmer für diesen Arbeitsplatz eignet. Nach dieser Auffassung ist der Arbeitnehmer nicht nur einzuarbeiten, sondern nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG in zumutbarem Umfang umzuschulen oder fortzubilden. Die Beendigung von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen kann aber nicht verlangt werden, wenn der Einsatz von Leiharbeitnehmern auf einer plausiblen konzeptionellen Entscheidung beruht, für bestimmte Arbeiten generell keine eigenen Arbeitskräfte einzusetzen.
Rz. 44
Auf die entsprechende Behauptung des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber im Prozess darlegen und beweisen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Arbeit des Leiharbeiters nicht ausführen kann oder aus welchen sonstigen betrieblichen Gründen eine Abarbeitung dieses Arbeitsvolumens durch Beendigung von Leiharbeitsverhältnissen ausscheidet.
Rz. 45
Gegen die Dringlichkeit spricht nicht, dass ein Arbeitsverhältnis ruht und daher den Arbeitgeber kaum belastet. Vom Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, seinen Kündigungsentschluss so lange zu verschieben, bis das Arbeitsverhältnis nicht mehr ruht, der Kündigungsgrund aber möglicherweise entfallen ist.
Rz. 46
Ob der gekündigte Arbeitnehmer sich erfolgreich darauf berufen kann, die Kündigung habe durch Kurzarbeit vermieden werden können, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Das BAG hat zu diesem Thema in einer Entscheidung aus dem Jahre 2012 Stellung genommen. Es hatte hier zwar nicht zu entscheiden, ob ein Arbeitgeber rechtlich gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben, da der Arbeitgeber in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall die Möglichkeit besaß, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtwirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von dieser Möglichkeit, so das Gericht, habe der Arbeitgeber wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch machen müssen. Ein vorübergehender Arbeitsmangel – so das BAG weiter – könne eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Das stärkt die Auffassung, Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigung schlössen sich logisch aus.