Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 47
Die soziale Auswahl ist bei Vorhandensein mehrerer vergleichbarer Mitarbeiter maßgebend dafür, welche konkreten Mitarbeiter bei Fortfall eines Arbeitsplatzes zu kündigen sind. Fehler in der Sozialauswahl können zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Dabei begrenzt die Zahl der Fehler nach neuerer BAG-Rechtsprechung die Zahl der "Nachrücker": Ein Nachrücker kann sich mit Erfolg nur auf den Fehler berufen, wenn er ohne ihn nicht hätte gekündigt werden können. Die getroffene Sozialauswahl ist nur dann grob fehlerhaft, wenn sich ihr Ergebnis als grob fehlerhaft erweist. Eine fehlerhafte oder gänzlich fehlende Sozialauswahl ist daher für die Wirksamkeit der Kündigung unerheblich, wenn in Bezug auf die Person des Gekündigten zufällig eine objektiv vertretbare Auswahl getroffen wurde. Der Arbeitgeber muss im Übrigen nicht die bestmögliche Sozialauswahl treffen, aufgrund seines Wertungsspielraums können sich nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg auf Auswahlfehler berufen.
Rz. 48
In einigen Fällen entfällt die Sozialauswahl von vornherein. Das ist klassischerweise bei einer Betriebsstilllegung der Fall. Die Sozialauswahl entfällt in diesem Fall nicht nur dann, wenn der Betrieb bereits geschlossen ist und die Kündigungen anschließend erklärt werden, sondern auch schon im Fall der beabsichtigten Betriebsstilllegung, die zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bereits sog. greifbare Formen angenommen hat, wenn der Betrieb spätestens mit Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist stillgelegt ist. Gleiches gilt, wenn mehrere Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb bilden und sich ein Unternehmen vollständig aus diesem Gemeinschaftsbetrieb zurückzieht, weil es seinen Geschäftsbetrieb einstellen will. In diesem Fall können die Mitarbeiter dieses Unternehmens im Grundsatz ohne vorherige Durchführung einer sozialen Auswahl gekündigt werden, weil der einheitliche – unternehmensübergreifende – Leitungsapparat, der maßgeblich für den (Gemeinschafts-)Betrieb ist, zum Kündigungszeitpunkt nicht mehr existiert bzw. absehbar ist, dass die einheitliche Leitung zum Zeitpunkt der Betriebsteilstilllegung nicht mehr bestehen wird. Eine soziale Auswahl bleibt hingegen notwendig, wenn die einheitliche personelle Leitung eines Gemeinschaftsbetriebs faktisch trotz Betriebsteilstilllegung fortgeführt wird.
Rz. 49
Mitarbeiter mit besonderem Kündigungsschutz können von vornherein aus dem Kreis vergleichbarer Mitarbeiter ausgenommen werden. Dies gilt insbesondere für Betriebsratsmitglieder, auch in der Insolvenz des Arbeitgebers, und zwar auch, wenn im Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung der Sonderkündigungsschutz voraussichtlich alsbald auslaufen wird. Nicht an der Sozialauswahl nehmen ferner zum Beispiel Schwerbehinderte (§§ 168 ff. SGB IX), Schwangere und Elternzeitler (§ 9 MuSchG, § 18 BEEG) sowie Wehr- und Ersatzdienstleistende (§ 2 Abs. 1 ArbPlSchG, § 78 Abs. 1 ZDG) teil, es sei denn, die für eine Kündigung erforderliche Zustimmung der zuständigen staatlichen Stelle wurde vor der Sozialauswahl erteilt. Von der Sozialauswahl auszunehmen sind ferner tariflich "unkündbare" Mitarbeiter und betriebliche Datenschutzbeauftragte (§ 4f Abs. 3 S. 5 f. BDSG). Nicht von der sozialen Auswahl erfasst sind schließlich Mitarbeiter ohne Kündigungsschutz nach dem KSchG: sie sind zunächst zu kündigen.
Rz. 50
Den äußeren Rahmen für die Durchführung der Sozialauswahl bildet der Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinn. Betriebsverfassungsrechtliche gemäß § 3 BetrVG, z.B. aufgrund eines Zuordnungstarifvertrags gebildete Betriebsstrukturen sind insoweit irrelevant. Es findet auch keine Ausweitung auf das Unternehmen statt. Die Sozialauswahl bleibt vielmehr selbst dann betriebsbezogen, wenn das Direktionsrecht des AG sich auf das Unternehmen bezieht (überbetriebliche Versetzungsklausel). Letzteres begründet lediglich eine Weiterbeschäftigungspflicht auf freien Arbeitsplätzen.
Rz. 51
In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, welche Mitarbeiter unter rechtlichen Gesichtspunkten miteinander vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit vollzieht sich immer auf derselben Hierarchieebene. Sie setzt voraus, dass ein Mitarbeiter einseitig ohne Änderung seines Arbeitsvertrages auf den jeweils anderen, gleichwertigen Arbeitsplatz versetzt werden kann (rechtliche Vergleichbarkeit). Wechselseitige Austauschbarkeit ist nicht erforderlich. Für die Beurteilung der Gleichwertigkeit kann die tarifliche Eingruppierung als Indiz herangezogen werden; nur bei Hilfstätigkeiten kommt ihr allerdings entscheidende Bedeutung zu.
Rz. 52
Eine rechtliche Vergleichbarkeit in diesem Sinne ist nicht gegeben, wenn eine Versetzung nach dem Arbeitsvertrag an einen anderen Ort nur mit Einverständnis des Arbeitnehmers, oder nur vertretungsweise erfolgen kann.
Rz. 53
Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte oder auch Teilzeitbeschäftigte untereinander sind dann vergleichbar, wenn es nur um den Abbau von Arbeitsvolumina bzw. des Stundenkontingent...