Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 385
Im Falle einer Freistellung besteht für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, bereits während des Ablaufs der restlichen Vertragslaufzeit seine Arbeitskraft anderweitig zu verwerten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie hierbei erzielter Verdienst zu behandeln ist, insbesondere ob eine Anrechnung dieses Verdienstes auf die fortzuzahlende Vergütung vorgenommen werden kann. Das BAG hat hierzu folgende Grundsätze entwickelt:
Nach § 611 Abs. 1 BGB ist der Arbeitgeber grds. zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Rechtsgrund ist der Arbeitsvertrag. Der Vergütungsanspruch entsteht aufgrund des Vertrags; er setzt nicht zwingend voraus, dass die vereinbarten Dienste tatsächlich geleistet werden.
Allerdings kommt eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes gem. § 615 BGB in Betracht. Nach § 615 S. 2 BGB ist der Wert desjenigen, was der Arbeitnehmer während des Annahmeverzuges aus einer anderweitigen Verwendung seiner Dienste erwirbt, auf die vom Arbeitgeber nach § 615 S. 1 BGB in Verbindung mit § 611 BGB geschuldete Vergütung anzurechnen. Ein entsprechender Annahmeverzug setzt voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber noch eine Arbeitsleistung schuldet. Fehlt es daran, kann der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung nicht in Verzug geraten. Auch eine Anrechnung von Zwischenverdienst nach § 615 S. 2 BGB scheidet in einem solchen Fall aus. Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bspw. rechtswirksam von seiner Arbeitspflicht freigestellt, kommen Ansprüche aus Annahmeverzug nicht in Betracht. Ein entsprechender Annahmeverzug ist daher u.a. dann ausgeschlossen, wenn mit der Freistellung Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllt werden sollen. Dazu bedarf es der unwiderruflichen Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht; ein während des Urlaubs anderweitig erzielter Erwerb ist auf das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt nicht anzurechnen.
Rz. 386
Vor diesem Hintergrund begründet die einseitige Freistellung Annahmeverzug und ermöglicht dementsprechend eine Anrechnung zugunsten des Arbeitgebers. Im Fall einer einvernehmlichen unwiderruflichen Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung hingegen scheidet – sofern nichts Abweichendes vereinbart ist – die Anrechnung anderweitiger Bezüge nach § 615 S. 2 BGB aus. Der Anspruch auf Vergütung folgt dann unmittelbar aus dem Aufhebungsvertrag i.V.m. dem Arbeitsvertrag und nicht (mehr) aus § 615 S. 1 BGB. Da mangels Arbeitspflicht des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber die Gläubigerstellung fehlt, kann ein Annahmeverzug nach §§ 293 ff. BGB nicht begründet werden, sodass § 615 S. 1 BGB nicht eingreift. Eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes soll außerhalb des Regelungsbereichs des § 615 BGB auch nicht in analoger Anwendung von § 615 S. 2 BGB oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung in Betracht kommen.
Rz. 387
Der Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer von der weiteren Arbeitsleistung freistellt, hat nach Auffassung des BAG allerdings stets die Möglichkeit, sich die Anrechnung von Zwischenverdienst auf den vertraglichen Vergütungsanspruch vorzubehalten. Eine solche Vereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, was im Zweifel durch Auslegung des Aufhebungsvertrags zu ermitteln ist. So kann etwa die Vereinbarung eines mit § 12 S. 1 KSchG vergleichbaren Sonderkündigungsrechts für den Arbeitnehmer ("Turboklausel") in Verbindung mit der Zahlung einer Abfindung bei vorzeitiger Beendigung auf den Willen zu einer entsprechenden Abrede hinweisen. Erfolgt der Abrechnungsvorbehalt im Fall der Freistellung unter Anrechnung offener Urlaubsansprüche, soll ein wirksamer Vorbehalt voraussetzen, dass der Urlaub hinsichtlich seines Beginns und Endes im Freistellungszeitraum konkret festgelegt wird, was sich auch konkludent, z.B. aus einer sog. Sprinterklausel, ergeben kann.
Die vorstehenden Grundsätze dürften auch für die Anrechnung anderweitigen Zwischenverdienstes gem. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB gelten.
Rz. 388
Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein eines anrechenbaren Verdienstes treffen den Arbeitgeber. Wird er auf Zahlung von Annahmeverzugslohn in Anspruch genommen, hat er deshalb gegen den Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von § 74c HGB Anspruch auf Auskunft über die tatsächlichen Umstände, die nach § 615 S. 2 BGB das Erlöschen seiner Zahlungspflicht bewirken. Erteilt der Arbeitnehmer die verlangte Auskunft nicht, kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern.
Rz. 389
Die vorstehenden Grundsätze haben zugleich Einfluss auf den Fortbestand des vertraglichen Wettbewerbsverbots gem. § 60 HGB. Dieses vertragliche Wettbewerbsverbot bleibt grds. auch während der Freistellungsphase weiter bestehen.
Rz. 390
Nach Ansicht des BAG enthält allerdings eine einseitige Freistellung, mit der der Arbeitgeber Annahmeverzug herbeiführt, regelmäßig einen Verzicht auf das gesetzliche Wettbewerbsverbot, wenn er sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 615 S. ...