Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 274
Gerät der Arbeitgeber mit der Zeugniserteilung in Verzug, haftet er dem Arbeitnehmer gemäß §§ 286, 288 Abs. 4 BGB. Das Zeugnis ist unverzüglich zu erteilen, nachdem der Arbeitnehmer dieses verlangt und von seinem Wahlrecht (einfaches oder qualifiziertes Zeugnis) Gebrauch gemacht hat. Die übliche Bearbeitungszeit sollte zwei bis drei Wochen nicht übersteigen, wobei selbstverständlich die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. So kann etwa bei einer Massenentlassung durch den Insolvenzverwalter oder einer Betriebsstilllegung ein längerer Zeitraum erforderlich sein. Verzug setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Erteilung des Zeugnisses anmahnt, § 286 Abs. 1 BGB, oder ausnahmsweise die Mahnung entbehrlich ist, § 286 Abs. 2 BGB. Für den durch den Verzug des Arbeitgebers adäquat kausal entstandenen Schaden beim Arbeitnehmer haftet der Arbeitgeber. Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers begegnet in der Praxis Schwierigkeiten hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast, insbesondere wenn es um den Nachweis eines sogenannten "Erwerbsschadens" geht, also die Behauptung, nur wegen eines fehlenden oder mangelhaften Zeugnisses in einem Bewerbungsverfahren unterlegen zu sein. Macht der Arbeitnehmer einen Zeugnisberichtigungsanspruch geltend, handelt es sich um eine Form von Schadensersatz durch Naturalrestitution.
Rz. 275
Schadensersatzansprüche Dritter können entstehen, wenn der Arbeitgeber in einem Zeugnis wissentlich unwahre Angaben macht und zumindest billigend die Schädigung anderer Arbeitgeber in Kauf nimmt. Ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB besteht im Falle einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung, die voraussetzt, dass das falsch ausgestellte Zeugnis objektiv gegen die guten Sitten verstößt. Bei einem kollusiven Zusammenwirken des Arbeitnehmers mit dem Zeugnisaussteller kann ein Schadensersatzanspruch des neuen Arbeitgebers gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 267 StGB wegen Beihilfe zum Anstellungsbetrug in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht zwischen dem Zeugnisaussteller und dem neuen Arbeitgeber eine vertragsähnliche Rechtsbeziehung, da der Inhalt des Zeugnisses erkennbar der Information künftiger Arbeitgeber dient, die sich folglich auf die Richtigkeit des Inhalts verlassen können müssen.
Rz. 276
Den Widerruf und die Rückgabe eines bereits erteilten Zeugnisses kann der Arbeitgeber verlangen, wenn ihm nachträglich Tatsachen bekannt werden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden und für einen zukünftigen Arbeitgeber von ausschlaggebender Bedeutung bei der Einstellungsentscheidung sein könnten. Bereits vorliegende Erkenntnisse der organschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter des Arbeitgebers bei der Zeugniserteilung muss er sich allerdings zurechnen lassen. Daneben ist der Widerruf eines Zeugnisses auch möglich, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der Zuständigkeiten für die Zeugniserteilung (Dienst-Weg) gezielt die Unkenntnis eines organschaftlichen Vertreters über maßgebliche Umstände für die Zeugniserteilung ausnutzt und sich dieses Vorgehen des Arbeitnehmers in einer Gesamtschau als treuwidrig darstellt.