Rz. 173
In Abweichung zur Grundregel des § 306 Abs. 1 BGB, der für den Regelfall zum Schutze des Vertragspartners des Verwenders bei Unwirksamkeit oder Nichteinbeziehung einzelner AGB die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen vorsieht, kommt nach § 306 Abs. 3 BGB ausnahmsweise eine Gesamtnichtigkeit in Frage, wenn das Festhalten am Vertrag unter Berücksichtigung der nach § 306 Abs. 2 BGB vorzunehmenden Lückenfüllung durch dispositives Gesetzesrecht für eine der Vertragsparteien eine unzumutbare Härte darstellen würde.
Rz. 174
Ob eine solch unzumutbare Härte vorliegt, ist durch eine Abwägung der Interessen der Vertragsparteien zu ermitteln. Im Falle eines Arbeitsvertrags ist das Interesse des Arbeitgebers an einer Gesamtnichtigkeit des Vertrags im Verhältnis zum Interesse des Arbeitnehmers an einer – jedenfalls teilweisen – Fortgeltung zu gewichten.
Auch wenn es nach dem Wortlaut des § 306 Abs. 3 BGB keinen Unterschied macht, ob die unzumutbare Härte auf Seiten des Verwenders oder seines Vertragspartners eintritt, wird eine Unzumutbarkeit tendenziell eher auf Seiten des Verwenders (Arbeitgebers) in Betracht kommen, da sich der Vertrag durch die Unwirksamkeit einzelner AGB und ggf. deren Ersetzung durch Normen des dispositiven Gesetzesrechts regelmäßig zu dessen Ungunsten verändert. Allerdings genügt bei Weitem nicht jede ungünstige Veränderung, um eine "unzumutbare Härte" annehmen zu können: Eine solche kommt vielmehr erst dann in Betracht, wenn durch den Wegfall der unwirksamen bzw. nicht wirksam einbezogenen AGB das Äquivalenzverhältnis grundlegend gestört wird.
Rz. 175
Es handelt sich bei § 306 Abs. 3 BGB dabei um eine Ausnahmevorschrift, die nur selten zur Anwendung kommt. Diese schon allgemein zutreffende Aussage gilt in besonderem Maße für das Arbeitsrecht: Wie oben bereits angesprochen wurde, geht die überwiegende Auffassung schon außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 305 ff. BGB davon aus, dass § 139 BGB, der im Zweifel bei Nichtigkeit von Teilen eines Rechtsgeschäfts auf dessen Gesamtnichtigkeit schließt, in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen nicht anzuwenden oder jedenfalls einzuschränken ist. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Gesamtnichtigkeit des Arbeitsvertrages den Arbeitnehmer vielfach benachteiligen würde, weil seiner Tätigkeit die vertragliche Grundlage entzogen würde und eine Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen stattzufinden hätte. Was schon nach allgemeinen Regeln zutreffend erscheint, muss erst recht im Rahmen der den Schutz des Vertragspartners des Verwenders (hier: in aller Regel der Arbeitnehmer) bezweckenden §§ 305 ff. BGB richtig sein. Dies berücksichtigend dürften kaum Fälle denkbar sein, in denen das Interesse des Arbeitgebers an einer Gesamtnichtigkeit des Vertrags das Interesse des Arbeitnehmers an einer teilweisen Fortgeltung des Vertrags überwiegt. Anzumerken ist allerdings, dass dieser Gedankengang zunächst nur für den auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses gerichteten Arbeitsvertrag als solchen zutrifft. Im Falle anderer Vereinbarungen, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich mit Bezug auf ein bereits bestehendes oder auch zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geschlossen werden (z.B. Arbeitgeberdarlehen, Aufhebungsverträge etc.) kann die Interessenlage im Ausgangspunkt eine andere sein und eine Anwendung des § 306 Abs. 3 BGB durchaus in Betracht kommen.
Rz. 176
Kommt eine Anwendung des § 306 Abs. 3 BGB ausnahmsweise in Betracht, ist noch zu berücksichtigen, dass eine etwaige Gesamtunwirksamkeit nach dieser Vorschrift nicht automatisch eintritt, sondern erst und nur dann, wenn sich zumindest eine der Vertragsparteien darauf beruft. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage nach einer etwaigen Unzumutbarkeit ist schließlich nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern der Zeitpunkt der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag, was aus dem Gesetzeswortlaut ("Festhalten") geschlossen wird.