Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 138
§ 711 ZPO eröffnet dem Schuldner die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung abzuwenden, indem er eine Sicherheitsleistung erbringt, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 95 Abs. 1 FamFG verweist insofern auf die ZPO. Im Ergebnis kann der Schuldner den Gläubiger nicht an der Zwangsvollstreckung hindern. Er kann ihn jedoch zur Sicherheitsleistung zwingen und damit sein wirtschaftliches Risiko minimieren (Rückgewährung des vollstreckten Betrages und eines Schadensersatzes), falls das Urteil aufgehoben wird. Die Vorschrift erfasst die Fälle des § 708 Nr. 4–11 ZPO und daher im Wesentlichen:
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Urteile, die im Urkunden- (§ 592 ZPO), Wechsel- (§ 602 ZPO) oder Scheckprozess (§ 605 ZPO) ergangen sind, |
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erstinstanzliche Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt werden (§§ 922, 936 ZPO) oder aufgehoben werden (§§ 925 Abs. 2, 927, 936 ZPO), |
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Urteile der Oberlandesgerichte in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, |
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Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, deren Wert in der Hauptsache 1.250,00 EUR nicht überschreitet (§ 708 Nr. 11 ZPO). |
Rz. 139
Der Tenor würde dann lauten: "Dem Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet."
Rz. 140
§ 709 ZPO lässt die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen nur gegen Sicherheitsleistung durch den Gläubiger zu, die nicht von der Vorschrift des § 708 ZPO erfasst werden. Dazu gehören insbesondere die Urteile in erstinstanzlichen vermögensrechtlichen Streitigkeiten, die die Wertgrenze des § 708 Nr. 11 ZPO (1.250,00 EUR bzw. 1.500,00 EUR) überschreiten und nicht unter § 708 Nr. 3 bis Nr. 9 ZPO fallen, sowie Urteile in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten.
Rz. 141
In dem Beispielsfall müsste der Tenor unter 2. daher lauten:
"2. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar."
Die Entscheidung wird von Amts wegen im Urteilstenor ausgesprochen. Sinn und Zweck der Vorschriften ist es, den Schuldner vor der Vollstreckung aus einem sachlich unrichtigen Urteil zu schützen und ihm gleichzeitig die Realisierung eines etwaigen Schadensersatzanspruches aus § 717 ZPO zu ermöglichen.
Rz. 142
Hinweis
Haben Sie für Ihren Mandanten als Gläubiger ein solches Urteil erstritten, stellt sich erneut die Frage nach der unmittelbar einzuleitenden Zwangsvollstreckung oder dem Abwarten der formellen Rechtskraft. Durch das Stellen der Sicherheitsleistung verringert sich das Risiko einer späteren in das Vermögen des Mandanten eingreifenden Schadensersatzforderung des Schuldners. Zudem kann die Sicherheitsleistung auch durch Bankbürgschaft erbracht werden. Es ist daher zuerst die Frage zu klären, ob der Gläubiger die Sicherheitsleistung überhaupt erbringen will/kann und ob das Urteil sachlich richtig ist. Wenn bei dem Schuldner eine Vermögensverschlechterung oder eine Vermögensverschiebung zu befürchten ist, dann sollte die Zwangsvollstreckung – nach Stellung der Sicherheit (in den Fällen des § 709 ZPO) – eingeleitet werden.
aa) Sicherheitsleistung
Rz. 143
Die Sicherheitsleistung hat die Funktion die Vollstreckung zu ermöglichen, wenn ein Urteil gegen Sicherheitsleistung für vollstreckbar erklärt wurde oder sie zu blockieren, wenn der Schuldner die Vollstreckung abwenden darf, indem er Sicherheit leistet, §§ 709, 707, 708, 719, 732 Abs. 2, 766 Abs. 1 S. 2, 769, 771 Abs. 3, 921 Abs. 2, 924 Abs. 3, 927 Abs. 1 ZPO. Diese Regelungen gehen dem vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 916 ff. und §§ 935 ff. ZPO vor. Die Art der Sicherheitsleistung bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen (§ 108 Abs. 1 ZPO). Der Antrag auf Gewährung der Sicherheit durch eine Bankbürgschaft ist nicht notwendig. In der Regel trifft das Gericht keine konkrete Bestimmung über die Art der Sicherheit. Nach § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO ist die Sicherheitsleistung durch die schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung von Geld oder mündelsicheren Wertpapieren (§ 234 Abs. 1 und Abs. 3 BGB) zu leisten.
Rz. 144
Die Höhe der Sicherheitsleistung muss wegen des Schutzzweckes der Sicherheitsleistung die gesamte vollstreckbare Forderung und weitere mögliche nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähige Schäden umfassen.
Rz. 145
Hinweis
Der Gläubiger hat 10.000,00 EUR eingeklagt. Das Urteil gibt seinem Zahlungsantrag statt. Der Tenor hinsichtlich der Vollstreckbarkeit lautet daher: "Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000,00 EUR (alternativ: 110 % des zu vollstreckenden Betrages) vorläufig vollstreckbar."
Rz. 146
Zu den ersatzfähigen Schäden, die bei der Bemessung der Sicherheitsleistung herangezogen werden, gehören die Hauptforderung, Nebenforderungen insbesondere der Zinsschaden und die Kosten des Verfahrens, d.h. die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten.
(1) Art und Weise der Sicherheit
Rz. 147
Im Falle d...