Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 345
Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO) hat die beschleunigte Vollstreckung zivilrechtlicher Titel in anderen Mitgliedsstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks und des türkisch besetzten Teils Zyperns zum Ziel. Sie betrifft unbestrittene Geldforderungen eines inländischen Gläubigers gegen einen Schuldner mit Wohnsitz in der EU, die bei einem deutschen Gericht geltend gemacht werden bzw. öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche. Gleichzeitig betrifft sie Forderungen eines ausländischen Gläubigers mit Sitz in der EU gegen einen inländischen Schuldner.
Rz. 346
Zuständig für die Ausstellung von Bestätigungen nach Art. 9 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 (gerichtlicher Vergleich), Art. 25 Abs. 1 (öffentliche Urkunde) und Art. 6 Abs. 2 u. 3 EuVTVO für deutsche Vollstreckungstitel ist die Stelle, die auch für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zuständig ist. Sie richtet sich daher nach den §§ 724, 797 ZPO. Bei gerichtlichen Entscheidungen und Prozessvergleichen ist dies das Ursprungsgericht (Art. 4 Nr. 6 EVTVO). Besondere Zuständigkeiten ergeben sich bspw. bei notariellen Urkunden (§ 779 Abs. 2 ZPO), bei öffentlichen Urkunden der Jugendämter (§ 60 S. 3 Nr. 1 SGB VIII), bei in gerichtliche Verwahrung gelangten notariellen Urkunden (der Rechtspfleger des verwahrenden Gerichts nach § 797 Abs. 1 und 2 S. 2 ZPO).
Rz. 347
Hinweis
Im Erkenntnisverfahren sollte die Ausstellung einer Bescheinigung als europäischer Vollstreckungstitel schon mit der Klageschrift beantragt werden.
Rz. 348
Es muss sich um einen in den Anwendungsbereich der EuVTVO fallenden auf eine bestimmte Geldzahlung lautenden nationalen Vollstreckungstitel handeln. Dazu gehören gerichtliche Vergleiche die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme gerichtet sind (Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 2 EuVTVO) und die auch im Inland vollstreckbar sind, öffentliche Urkunden über eine Geldforderung (Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 2 und 3 EuVTVO) wie beispielsweise notarielle Urkunden (§ 794 Nr. 5 ZPO) und Urkunden des Jugendamtes nach §§ 59, 60 SGB VIII und Vollstreckungsbescheide, Anerkenntnis und Versäumnisurteile die auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet sind (Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 2 EuVTVO).
Rz. 349
Eine Vollstreckbarkeitserklärung ist nicht erforderlich. Voraussetzung ist nach Art. 6 EuVTVO, dass die Entscheidung über eine unbestrittene Forderung in einem Mitgliedsstaat ergangen ist (Art. 6 Abs. 1 EVTVO). Die Entscheidung muss im Ursprungsmitgliedsstaat vollstreckbar sein (Art. 6 Abs. 1a EVTVO). Das heißt die Vollstreckbarkeit richtet sich nach nationalem Recht. Auch vorläufige Vollstreckbarkeit reicht aus.
Nicht darunter fallen Säumnisentscheidungen gegen Verbraucher (Art. 6 Abs. 1d i.V.m. 3 Abs. 1b und c EVTVO). Bei Säumnisentscheidungen gegen Verbraucher muss die Entscheidung in dem Staat ergangen sein, in dem er seinen Wohnsitz i.S.v. Art. 59 EuGVVO hat. Das ist aber aufgrund der Zuständigkeitsbestimmungen im Grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ohnehin der Fall. Eine solche Verbraucherangelegenheit liegt bereits vor, wenn die Entscheidung einen Vertrag betrifft, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck getroffen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann (Art. 6 Abs. 1d EVTVO).
Rz. 350
Der Antrag auf Bestätigung als Vollstreckungstitel ist an das Ursprungsgericht bzw. Vollstreckungsorgan zu richten. Er kann gemäß Art. 6 Abs. 1 EVT-VO bereits mit der Klageschrift gestellt werden, was die Regel sein sollte. Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wird unter Verwendung des Formblatts in Anhang I und in der Sprache ausgestellt, in der der Titel ergangen ist (Art. 9 Abs. 1 und 2 EVTVO).
Die Zustellung richtet sich nach Art. 13, 14 und 15 EVTVO und ist vergleichbar mit dem deutschen Zustellungsrecht.
Rz. 351
Die eigentliche Zwangsvollstreckung richtet sich dann nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedsstaates (Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 5 EVTVO). In Deutschland gilt für ausländische Titel, die als europäische Vollstreckungstitel bestätigt sind, § 1082 ZPO. Einer Vollstreckungsklausel bedarf es demnach hier nicht. Ansonsten gilt nationales Zwangsvollstreckungsrecht.
Der Gläubiger ist nach Art. 20 EVTVO bzw. in Deutschland nach § 1083 ZPO verpflichtet eine Ausfertigung der Entscheidung, eine Ausfertigung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel und eine Übersetzung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in der Amtssprache des Vollstreckungsmitgliedsstaates, an die zuständige Vollstreckungsbehörde zu übersenden.
Rz. 352
Wenn der Schuldner einen Rechtsbehelf gegen die Bestätigung eingelegt, Art. 19 EVTVO hat, die Berichtigung (in Deutschland gilt § 1081 ZPO) oder den Widerruf nach Art. 10 EVTVO beantragt hat, kann das zuständige Gericht des oder die zuständige Stelle im Vollstreckungsm...