Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 5
Die außerordentliche Kündigung ist fristlos oder mit einer sozialen Auslauffrist möglich. Dies wird praktisch besonders relevant in den Fällen, in denen die ordentliche Kündigung durch Tarifvertrag oder Einzelarbeitsvertrag ausgeschlossen ist. Ein pflichtwidriges Verhalten, das bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, kann wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss in einem solchen Fall zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich nicht gekündigt werden kann, darf im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn er dem Sonderkündigungsschutz nicht unterfiele.
Rz. 6
In diesen Fällen muss die soziale Auslauffrist der gesetzlichen, tariflichen oder vereinbarten Kündigungsfrist entsprechen. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt in Betracht, wenn der wichtige Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darin liegt, dass der Arbeitgeber wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung andernfalls gezwungen wäre, für Jahre an einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis festzuhalten. Ist das Arbeitsverhältnis noch ordentlich kündbar, scheidet eine außerordentliche Kündigung – auch eine solche mit Auslauffrist – von vornherein aus. Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt – unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist – allenfalls in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde. Es kann dem Arbeitgeber unzumutbar sein, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über solche Zeiträume hinweg allein durch Gehaltszahlungen ohne adäquate Gegenleistung aufrechtzuerhalten. Allerdings ist der Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung in einem besonderen Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn alle denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen.
Rz. 7
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens erheblicher Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist, hat im Rahmen einer Interessengesamtwürdigung eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.
Rz. 8
Bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers kommt eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Pflichtverletzung muss einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Andererseits muss es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Ist die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes zwar für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, nicht aber darüber hinaus, kann ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung – mit notwendiger Auslauffrist – besteht.
Ebenfalls nur in Ausnahmefällen kommt die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist aufgrund von in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen in Betracht. Eine solche personenbedingte Kündigung kann allerdings gerechtfertigt sein, wenn die Möglichkeit des Leistungsaustauschs zwischen den Vertragsparteien nicht mehr besteht, weil der Arbeitnehmer sich krankheitsbedingt nicht in der Lage befindet, die vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist liegt grundsätzlich auch in einer Freiheitstrafe von fast siebeneinhalb Jahren, ohne dass eine vorherige Entlassung erwartbar wäre, begründet.