Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 28
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Die außerordentliche Kündigung muss also die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) sein. Besteht hingegen die Möglichkeit einer zumutbaren anderweitigen Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, muss der Arbeitgeber bei Vorliegen einer solchen Möglichkeit die Weiterbeschäftigung von sich aus anbieten. Weitere Voraussetzung ist, dass objektive Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Arbeitnehmer das beanstandete Verhalten auf dem anderen Arbeitsplatz nicht fortsetzen wird, es sich also nicht um arbeitsunabhängige Pflichtverstöße handelt. Wenn ein an sich geeigneter Grund zur Rechtfertigung einer Kündigung vorliegt, kann eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis gleichwohl nur dann beenden, wenn sich bei einer umfassenden Interessenabwägung ergibt, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Verhältnis zu dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind die Unterhaltspflichten und das Lebensalter zu berücksichtigen. Das gilt auch dann, wenn eine Kündigung auf ein Vermögensdelikt zum Nachteil des Arbeitgebers gestützt wird. Darüber hinaus sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
Rz. 29
Es spricht vieles dafür, bei der im Kündigungsrechtsstreit zu beurteilenden Frage, ob die Annahme des Arbeitgebers, die zukünftige beanstandungslose Zusammenarbeit könne nicht bereits durch Ausspruch einer Abmahnung gesichert werden, objektiv unzutreffend war, auch das Verhalten des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung, z.B. im gerichtlichen Verfahren zur Objektivierung der bei Kündigungsausspruch gestellten Prognose zu berücksichtigen. Das Verhalten im Prozess und das sonstige Verhalten nach Ausspruch der Kündigung können insoweit klare Anhaltspunkte geben, ob die vor Ausspruch der Kündigung angestellte Prognose, dass die zukünftige beanstandungslose Zusammenarbeit nicht bereits durch Ausspruch einer Abmahnung gesichert werden kann, objektiv unzutreffend war. Macht der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung durch sein tatsächliches Verhalten deutlich, dass er das ursprüngliche Fehlverhalten auf keinen Fall wiederholen werde, so kann sich auch hieraus ein Anhaltspunkt ergeben, dass die vor Ausspruch der Kündigung erstellte Prognose, eine zukünftige Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich, objektiv falsch war. Macht der Arbeitnehmer dagegen auch nach Ausspruch der Kündigung ggf. auch im Kündigungsschutzprozess deutlich, dass er sein Verhalten nicht als gravierend ansehe, spricht dies eher dafür, dass die Prognose vor Ausspruch der Kündigung, der Arbeitnehmer werde sein Verhalten auch in Zukunft nicht anpassen, objektiv zutreffend war.