Rz. 68
Folgende Besonderheiten sind bei dem Ersatz eines Schadensersatzanspruchs nach polnischem Schadensersatzrecht nach einem Verkehrsunfall zu beachten. Teilweise liegen erste Urteile deutscher Gerichte zur Anwendung materiellen polnischen Rechts vor.
1) Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
Das polnische Recht kennt zwar grundsätzlich eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Nach Art. 436 § 1 ZGB haftet der unmittelbare Eigenbesitzer und der Fremdbesitzer des Fahrzeugs für alle Schäden, die durch die Bewegung des Fahrzeugs verursacht wurden. Hiervon wird dann eine Ausnahme zugelassen, wenn diese Bewegung durch höhere Gewalt verursacht worden oder sie alleinig dem Geschädigten oder einem Dritten zuzuschreiben ist.
Nur bei einem Zusammenstoß zweier mechanischer Fahrzeuge (dazu gehört z.B. nicht das Fahrrad), die sich in Bewegung befinden, richten sich die gegenseitigen Forderungen der Besitzer dieser Fahrzeuge und die Forderungen der Mitfahrer aus Gefälligkeit nach dem Schuldprinzip (Art. 436 § 2 ZGB). Bei dem Unfall mit zwei Kraftfahrzeugen setzt mithin ein Schadensersatzanspruch den Nachweis eines schuldhaften Fehlverhaltens voraus (Art. 415 ZGB). Gegenüber Dritten, z.B. Fußgängern, die an dem Unfall auch beteiligt waren, gilt weiterhin die Gefährdungshaftung. Eine Haftung kann Art. 362 ZGB entsprechend den Umständen und dem Verschulden beider Beteiligten vermindert werden, falls der Geschädigte zum Unfall beigetragen hat.
2) Polizeiliche Unfallaufnahme
Nach Art. 44 des Verkehrsrechts und Art. 16 des Gesetzes über die Haftpflichtversicherungen ist jeder Unfall der Polizei zu melden, bei dem es zu einem Personenschaden gekommen ist oder die Begehung einer Straftat vermutet wird (z.B. Trunkenheit am Steuer). Anderenfalls braucht der Unfall nicht der Polizei gemeldet zu werden, wenn die Beteiligten untereinander klären, wer für den Unfall verantwortlich ist.
3) Fahrzeugschaden
Reparaturkosten werden bis zum Wiederbeschaffungswert ersetzt. Zumeist ist die Vorlage einer Reparaturrechnung erforderlich. Ein Abzug Neu für Alt findet dabei nicht statt. Nach Art. 17a des Versicherungsgesetzes ist die Versicherung verpflichtetet, die Mehrwehrsteuer dann zu ersetzten, wenn der Berechtigte nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer für die Reparatur vorlegt. Die jüngere Judikatur gestattet u.U. auch die Mehrwertsteuer auf fiktiver Basis nach Gutachten ohne eine Rechnung zu erhalten, solange dieser nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Im Totalschadenfall wird der Wiederbeschaffungswert unter Anrechnung des Restwerts erstattet. Die Kosten für die Neuzulassung eines Fahrzeugs werden dabei nicht übernommen.
Bei der Festlegung im Rahmen einer fiktiven Abrechnung wird sich i.d.R. nach den Durchschnittspreisen auf dem lokalen Markt gerichtet, die niedriger sind als die Preise in autorisierten Markenwerkstätten. Deren Rechnungen können aber bei einer konkreten Abrechnung verwendet werden. Hat der Geschädigte seinen Wohnsitz in Deutschland, gelten i.d.R. die Stundensätze aus der dortigen Region.
Während früher ein merkantiler Minderwert abgelehnt worden ist, hat das Oberste Gericht mit dem Hinweis auf die Änderung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Polen diese Rechtsauslegung geändert und anerkannt, dass die Entschädigung neben den Reparaturkosten auch den Minderwert umfasst. Dabei wurden keine besonderen Voraussetzungen genannt. Die Grundlage für den Wertvergleich sollen die Durchschnittspreise liefern. Es gibt dabei keine gesetzlichen Vorgaben zur Berechnung des Minderwertes, sondern die Sachverständigen verwenden bestimmte Berechnungsmodelle. Hierzu zählt insbesondere eine Empfehlung der Vereinigung der Fahrzeugsachverständigen "Expertmot", aus dem Jahr 2009, wonach u.a. der Minderwert nur bei Fahrzeugen, die im guten technischen Zustand und nicht älter als 6 Jahre sind, berücksichtigt wird.
4) Gutachterkosten, Nutzungsausfall, Mietwagenkosten, Unkostenpauschale
Die Aufwendungen für ein polnisches Privatgutachten werden i.d.R. in der Praxis von den Versicherern ersetzt. Ob dies auch notfalls auch bei Gericht anerkannt wird hängt vom Einzelfall ab. Nach dem Beschluss des Obersten Gerichts vom 18.5.2004, kann bei der Entscheidung auch unter Umständen ein privates Gutachten berücksichtigt werden. Die gleichen Regeln gelten bei ausländischen Gutachten und auch hierzu gibt es auch positive Urteile zugunsten des Geschädigten. Bei einem ausländischen Gutachten sollte die Versicherung i.d.R. der Beauftragung zugestimmt haben, es sei denn, es bestand keine andere Möglichkeit der Schadensschätzung.
Mietwagenkosten wurden früher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen bei Nachweis eines besonderen Erfordernisses (Beruf, keine öffentlichen Verkehrsmittel in unmittelbarer Nähe, etc.) und unter Abzug erheblicher ersparter Eigenaufwendungen von mindestens 20 % anerkannt. Jetzt wird aber von den Gerichten anerkannt, dass Mietwagenkosten...