Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 48
Die Rspr. des BGH ist nicht einheitlich. Soweit sie sich überhaupt grundsätzlicher mit der Frage befasst, welche Anforderungen an die Substantiierung des Parteivorbringens zu stellen sind, weicht sie von der zuvor dargestellten der Instanzgerichte erheblich ab.
Zwar geht auch der BGH davon aus, dass die an die Substantiierung des Vorbringens einer Partei zu stellenden Anforderungen sich nach dem Vorbringen der Gegenseite richten. Aber nicht in dem Sinne, dass von dem knappen Vortrag auf mangelnde Wahrscheinlichkeit und deshalb auf Missbrauch geschlossen werden dürfte. Nicht einmal der Vortrag eines unüblichen oder ungewöhnlichen Sachverhalts vermag solche erhöhten Anforderungen zu begründen.
BGH NJW 1984, 2888, 2889:
Zitat
Für die Frage der Darlegungslast […] ist es schließlich ohne Bedeutung, wie wahrscheinlich die Darstellung der Kl. ist. Ob für den Sachvortrag der Kl. tatsächliche Vermutungen oder ein durch die allgemeine Erfahrung begründeter Anschein sprechen, kann sich zwar auf die Beweisführung und auf die Beweiswürdigung auswirken. Erhöhte inhaltliche Anforderungen an die Darlegungslast lassen sich damit aber entgegen der Auffassung des BerGer nicht begründen. Nicht einmal der Vortrag eines unüblichen oder ungewöhnlichen Sachverhaltes […] vermag solche erhöhten Anforderungen zu begründen […]
Für den BGH liegt nach dieser Rspr. die Funktion der Substantiierungslast ausschließlich darin, für Klarstellung zu sorgen, wenn der eigene Vortrag aufgrund der Einlassung des Gegners unklar wird:
BGH NJW 1992, 2427, 2428:
Zitat
Die Angabe näherer Einzelheiten ist nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in der Lage sein, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs vorliegen. Zergliederungen der Sachdarstellung in Einzelheiten können allenfalls bedeutsam werden, wenn der Gegenvortrag dazu Anlass bietet. Das bedeutet jedoch nicht, dass derjenige, der ein Recht beansprucht, schon deshalb weil der Gegner bestreitet, gezwungen ist, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben. Dem Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, liegt nicht etwa der Gedanke zugrunde, ein Kl. sei zur Förderung der Wahrheitsermittlung und zur Prozessbeschleunigung verpflichtet, um den bestreitenden Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf die Klagebehauptungen einzulassen. Der Grundsatz besagt vielmehr nur, dass der Tatsachenvortrag der Ergänzung bedarf, wenn er infolge der Einlassung des Gegners unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt.
Rz. 49
Mit dieser Entscheidung – die sich weit von der täglichen Praxis der Instanzgerichte entfernt – hat der BGH keineswegs eine neue Rechtsprechung begründet, sondern er konnte sich auf teilweise wortgleiche Ausführungen früherer Entscheidungen berufen: BGH NJW 1962, 1394; BGH NJW 1984, 2888.
Der BGH hat seinen Standpunkt wiederholt bekräftigt.
BGH NJW-RR 1993, 189:
Zitat
Der Pflicht zur Substantiierung ist nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund dieser Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind […]
Und noch deutlicher BGH NJW 1999, 2887, 2888:
Zitat
Eine Substantiierungspflicht dient nicht dazu, zur Förderung der Wahrheitsermittlung und/oder zur Prozessbeschleunigung den Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf Behauptungen einzulassen […]. Ihr Umfang hat sich vielmehr am Zweck der Darlegungen zu orientieren.
BGH NZG 2007, 516:
Zitat
Ein Beweisantritt für eine bestimmte rechtserhebliche Tatsache bedarf nicht der Angabe zusätzlicher, erst für die Beweiswürdigung relevanter Begleitumstände (z.B. "wo, wann, gegenüber wem").
A.A. OLG Düsseldorf mit der Begründung, es verstoße gegen den Grundsatz der Waffengleichheit, über einen unsubstantiierten Vortrag Beweis zu erheben; denn,
OLG Düsseldorf NVwZ 1995, 201:
Zitat
Eine Partei kann sich auf ein gegnerisches Vorbringen nur ausreichend einrichten und dagegen verteidigen, wenn dies […] hinreichend bestimmt ist, um dann selbst Zeugen zur Entkräftigung oder zum Beweis des Gegenteils zu benennen.
Demgegenüber etwas theatralisch das OLG Köln OLGR 1999, 232:
Zitat
Die Auffassung einzelner Gerichte, der Klagevortrag sei unsubstantiiert, weil der Kläger nicht angegeben habe, wer – wann – wo – mit wem – warum usw. etwas getan oder unterlassen habe, ist falsch, war immer falsch, findet in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine Stütze, ist aber bisher nicht auszurotten.
Die teilweise überzogenen Begründungen beider Seiten zeigen, dass hier nicht irgendeine belanglose Frage im Streit ist, sondern das Grundverständnis des Wesens des Zivilprozesses berührt wird.
Rz. 50
Was der BGH darunter versteht, ein Vorbringen könne durch das des Gegners unklar werden, hat er in seiner g...