Dr. iur. Christian Saueressig
A. Verhandlungsmaxime
Rz. 1
Die Parteien sind die Herren des Verfahrens. Es liegt in ihrer Hand, was sie vortragen, wie umfangreich sie das tun, ob sie Beweis antreten und mit welchen Beweismitteln. Sie legen durch ihr Vorbringen und Gegenvorbringen das Streitprogramm fest.
BVerfGE 52, 131, 153:
Zitat
Diese Ausgestaltung des "Erkenntnisverfahrens" in Zivilsachen ist von der Überzeugung geprägt, dass aufgrund einer solchen, der Natur des Privatrechts entsprechenden Ordnung der zutreffende, für die gerichtliche Entscheidung erhebliche Sachverhalt von den Parteien nach ihrem Interesse am Ausgang des Rechtsstreits selbst beigebracht, unter Beweis gestellt und so die vom Gesetz angestrebte "richtige", auch mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem darin enthaltenen Postulat der Gerechtigkeit in Einklang stehende Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geschaffen werde.
Rz. 2
Von hier auszuklammernden besonderen Verfahren abgesehen, ermittelt das Gericht nicht von Amts wegen. Es hat seine Unparteilichkeit zu wahren und darf nach überwiegend vertretenem Prozessrechtsverständnis nur in engen Grenzen durch Anregungen und Handlungsaufforderungen in den Prozessablauf eingreifen.
Die ZPO legt den streitenden Parteien nur wenig echte Pflichten auf, wie zum Beispiel die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, wenn gemäß § 141 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet ist oder die Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO). Statt Pflichten, deren Nichtbefolgung mit einem Ordnungsgeld geahndet werden (z.B. § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO) oder strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann (Prozessbetrug), bürdet es den Parteien häufiger Lasten auf. Diese verpflichten die Partei zu nichts – sie kann "lediglich" den Prozess verlieren, wenn sie etwa ihrer Darlegungslast nicht genügt.
B. Darlegungslast
I. Was muss eine Partei vortragen?
Rz. 3
Durch ihren Klageantrag hat sie das Klageziel selbstständig und frei bestimmt. Es ist nun an ihr, Tatsachen vorzutragen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Die beklagte Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Die Anforderungen an das "Was" des Vortrages bestimmen sich also nach den Gesetzen des materiellen Rechts, in der Auslegung, die sie durch die Rechtspraxis erfahren haben.
Da Darlegungs- und Beweislast sich aufeinander beziehen, ist für die Frage, was eine Partei zur Begründung ihres Prozessantrages vorzutragen hat, schon für dessen Schlüssigkeit oder Erheblichkeit von Bedeutung, ob die Beweislast eine besondere gesetzliche Regelung gefunden hat. Das ist z.B. in §§ 179, 280, 363 BGB der Fall. Wird also etwa jemand als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 BGB in Anspruch genommen, ergibt sich aus der Regelung des § 179 Abs. 1 BGB, wonach ihn die Beweislast für seine Vertretungsmacht trifft, dass er auch Tatsachen vorzutragen hat, die seine Vollmacht begründen können.
Gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, gilt der eingangs erwähnte Grundsatz, dass Tatsachen vorzutragen sind, die geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Der Vortrag muss schlüssig, substantiiert und nicht ins Blaue erfolgen.
Das bedeutet in seiner praktischen Anwendung:
Macht etwa der Kläger einen Anspruch auf Zahlung eines Kaufpreises geltend, so genügt er seiner Darlegungslast zunächst damit, dass er den Abschluss eines Kaufvertrages behauptet, der einen Anspruch in Höhe seiner Klageforderung zu begründen geeignet ist. Sein Vorbringen muss nur dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen; es muss klargestellt sein, über welchen Kaufgegenstand eine Entscheidung getroffen werden soll, damit es keinen Zweifel darüber geben kann, welche Streitsache mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung so abgeschlossen ist, dass sie nicht wieder aufgegriffen werden kann.
Rz. 4
Darüber hinaus bedarf es zunächst keines weiteren Vortrages zu Zeit, Ort und näheren Umständen des Vertragsabschlusses. Das ändert sich erst, wenn der Beklagte seinerseits auf die Klage erwidert hat. In welchem Umfang der Kläger nun sein Vorbringen zergliedern und spezifizieren muss, beantwortet sich nach seiner Substantiierungslast, vgl. Rdn 40 ff.
Ob der Kläger von dem Recht des zunächst knappen Vortrags Gebrauch macht, ist eine Frage der Ökonomie und der Taktik. Auf der einen Seite wird es arbeitssparend sein, schon in der Klageschrift auf die aus der Vorkorrespondenz bekannten oder zu erwartenden Einwendungen einzugehen. Andererseits kann es hilfreich sein, zunächst einmal abzuwarten, über welche Informationen der Gegner verfügt und welche Marschroute er verfolgt.
Rz. 5
Der Vortrag sog. negativer Tatsachen – beispielsweise die nicht rechtzeitige Übergabe eines Emission...