Rz. 542
Rz. 543
BGH
Fährt ein Lkw (1) von der Beschleunigungsspur direkt auf die Überholspur, um einen vor ihm einfahrenden Lkw (3) zu überholen, haftet der Fahrer (1) für den Schaden, den ein auffahrender Pkw (2) verursacht, der sich auf der Überholspur befunden hatte, zu 100 %. Wer von der Beschleunigungsspur auf eine befahrene Autobahn auffährt, darf nicht in einem Zug auf die Überholspur fahren. Er muss sich vielmehr zunächst in den Verkehrsfluss auf der Normalspur einfügen, um sich selbst in die konkrete Situation auf der Autobahn einzufühlen und sich zu vergewissern, dass er durch das beabsichtigte Überholen auch solche Fahrzeuge nicht gefährdet oder behindert, die – für ihn kurzfristig durch andere Fahrzeuge verdeckt – sich ihm mit hoher Geschwindigkeit von hinten nähern.
Rz. 544
BGH
Kommt es zu einem Auffahrunfall auf der Autobahn, ist ein Anscheinsbeweis regelmäßig nicht anwendbar, wenn zwar feststeht, dass vor dem Unfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Kfz stattgefunden hat, der Sachverhalt im Übrigen aber nicht aufklärbar ist. Unter diesen Umständen kommt es zu einer Haftungsteilung 50:50.
Rz. 545
Schleswig-Holsteinisches OLG
Bei einem Auffahrunfall kann der Anschein gegen den auffahrenden Hintermann sprechen, dass dieser entweder unaufmerksam war (§ 1 Abs. 1 StVO) oder aber nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO). Dieser Anscheinsbeweis greift nicht ein, wenn aufgrund erwiesener Tatsachen oder aber unstreitig es an der für ein Verschulden des Auffahrenden sprechende Typizität der Unfallkonstellation fehlt, z.B. bei einem grundlosen Abbremsen durch den Vordermann oder bei nachgewiesenem bzw. feststehendem Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden erst wenige Augenblicke vor dem Auffahrunfall. (amtl. Leits.). Die höchstrichterliche Rspr. zu Auffahrunfällen auf mehrspurigen Autobahnen (BGH, Urt. v. 30.11.2010, r+s 2011, BGH, Urt. v. 13.12.2011, VI ZR 177/10, r+s 2012), die bei Auffahrunfällen eine hälftige Schadensteilung annimmt, wenn vor dem Auffahren ein Fahrspurwechsel stattgefunden hat, aber streitig und nicht aufklärbar ist, ob die Fahrspur unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt worden ist und sich dies unfallursächlich ausgewirkt hat, betrifft nur vorangegangene Spurwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5 StVG. Diese Rechtsprechung ist deshalb bei einem Auffahrunfall auf einer einspurigen Bundesstraße nicht einschlägig (amtl. Leits.).
Rz. 546
OLG Rostock
Fährt ein Kfz mit mehr als 130 km/h auf ein die Spur wechselndes Fahrzeug auf, haftet der Auffahrende zu 60 %. Der Anscheinsbeweis greift nicht. Vielmehr werden die Betriebsgefahren der beteiligten Kfz berücksichtigt.
Rz. 547
OLG Celle
Der Fahrer eines mit 53 km/h auf die Autobahn einfahrenden Lkw (1) haftet zu 40 %, wenn ein mit überhöhter Geschwindigkeit (ca. 94 km/h) herannahender zweiter Lkw (2) auf (1) auffährt, weil dessen Fahrer (2) zu spät reagierte.
Rz. 548
OLG Hamm
Hätte der Fahrer des auf der rechten Fahrspur der Autobahn fahrenden Lkw (2) das Auffahren auf einen von der Beschleunigungsspur in die rechte Spur einfahrenden Lkw (1) verhindern können, indem er die Motorbremse betätigt oder eine Angleichbremsung vorgenommen hätte, haftet er zu 20 %, der Einfädelnde (2) zu 80 %.
Rz. 549
OLG Hamm
Der Überholende (2) hat sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 4 S. 1 StVO). Muss der Fahrer eines Kfz (2) beim Wechsel auf die linke Fahrspur der Autobahn gleichzeitig verkehrsbedingt bremsen, so dass dem auf der linken Fahrspur fahrenden Fahrer (1) der Bremsweg verkürzt wird, verletzt er das Gebot des § 5 Abs. 4 S. 1 StVO und haftet beim Auffahren des Pkw (1) zu 75 %. Er hätte zum Vermeiden des Unfalls den Überholvorgang abbrechen und wieder auf den rechten Fahrstreifen zurückkehren müssen. Die durch sein Verhalten eingetretene Verkürzung des Sicherheitsabstands stellt eine zusätzliche Gefahrenlage dar.
Rz. 550
OLG Hamm
Lenkt ein Omnibusfahrer (1) seinen Bus ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs von der rechten Fahrspur der Autobahn auf die mittlere, haftet er zu 100 %, wenn ein Pkw (2) deswegen von der mittleren auf die linke Spur ausweicht und dort mit einem von hinten kommenden Pkw (3) kollidiert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Pkw-Fahrer (3) die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschritten hatte. Dem Omnibusfahrer (1) ist ein besonders schwerer Verkehrsverstoß vorzuwerfen. Ein Spurwechsel darf im Hinblick auf einen berechenbaren und möglichst gefahrlosen Verkehrsfluss nur unter äußerster Vorsicht durchgeführt werden. Die Betriebsgefahr des Pkw (3) wiegt gegenüber der erhöhten Betriebsgefahr des Omnibusses so gering, dass sie vernachlässigt werden kann und muss.
Rz. 551
OLG Koblenz
Wer durch eine an sich erlaubte Geschwindigkeit von 200 km/h einen Verkehrsunfall mit verursacht, haftet allein wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu 50 %, wenn dem Unfallgegner ein Verschulden ebenfalls nicht nach...