Rz. 1600
Rz. 1601
OLG Nürnberg
Der Pkw-Fahrer (1) unterhält sich kurz mit einer Anliegerin (3) und fährt nach etwa einer Minute rückwärts auf einen schmalen Anliegerweg, um sein Fahrzeug zu parken. Inzwischen war der knapp Zweijährige (2) hinter das Auto gelaufen und wurde beim Rückwärtsfahren überrollt und schwer verletzt. Der Fahrer des Pkw (1) haftet zu 100 %, da das Rückwärtsfahren nur zulässig ist, wenn eine Gefährdung anderer nicht stattfindet. Beim Rückwärtsfahren hat sich der Fahrer, bevor er mit der Rückwärtsbewegung beginnt, davon zu überzeugen, dass auch solche Teile der Straße, die er rückwärts befahren will, von Hindernissen frei sind, die er im Rückspiegel oder durch Zurückschauen nicht zu übersehen vermag (sog. "toter Winkel"). Gegebenenfalls hat er sich einweisen zu lassen.
Rz. 1602
OLG Frankfurt a.M.
Den Fahrer eines in Rückwärtsfahrt befindlichen Traktors trifft auf einem öffentlich nutzbaren Feldweg eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass sich auf diesem Feldweg keine körperlich beeinträchtigten Personen aufhalten. Der Traktorfahrer hätte sich durch mehrfaches Rückschauen oder auch Anhalten und Absteigen davon überzeugen müssen, dass er ohne eine Gefährdung anderer zurückfahren konnte.
Rz. 1603
LG Hannover
Fährt ein Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Einfahrt in den fließenden Verkehr ein und steht quer auf der Fahrbahn, so haftet er nur zu ⅓ bei einem späteren Zusammenstoß mit dem fließenden Verkehr, wenn dieser aufgrund der Entfernung und der gefahrenen Geschwindigkeit noch eine Reaktionszeit von fünf Sekunden hatte, den Unfall zu vermeiden. Das überwiegende Verschulden trifft danach den Verkehrsteilnehmer, der im fließenden Verkehr fuhr und den Unfall nicht durch Ausweichen oder Anhalten vermieden hat. Nach der Aussage des Zeugen herrschte für die im fließenden Verkehr befindliche Fahrerin kein Gegenverkehr. Es wäre deshalb ohne weiteres möglich gewesen, mit ihrem Wagen links an dem des Einfahrenden vorbeizufahren. Es hätte für sie leicht sein müssen, bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h, die ihr eine Reaktionszeit von fünf Sekunden einräumte, den Unfall zu vermeiden.
Rz. 1604
AG Walsrode
Bei einem Unfallereignis zwischen einem zurücksetzenden Lkw (1) (Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO) und einem rechts überholenden Pkw (Verstoß gegen § 1 StVO) haftet der Lkw-Fahrer zu 60 %. Diese Haftung ergibt sich aus § 18 Abs. 1 S. 1 StVG. Er hat als rückwärts Fahrender nach § 9 Abs. 5 StVO eine besondere Sorgfaltspflicht. Infolge dieser Sorgfaltspflicht wäre er verpflichtet gewesen, sich einweisen zu lassen, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Der Pkw-Fahrer (2) haftet nach § 7 Abs. 1 StVG. Die Kollision mit dem Lkw stellte für ihn kein unabwendbares Ereignis dar. Vielmehr hat er selbst die konkrete Gefährdungssituation herbeigeführt, indem er unter Verletzung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots des § 1 StVO versuchte, rechts an dem Lkw vorbeizukommen.
Rz. 1605
AG Werningerode
Fahren beide Fahrzeugführer rückwärts und kommt es dabei zu einer Kollision, so beträgt die Haftungsverteilung 50 %, unabhängig davon, ob eines der beiden Fahrzeuge im Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits stand. Der Vorgang des Rückwärtsfahrens ist erst dann abgeschlossen, wenn der Rückwärtsfahrende sich in den fließenden Verkehr eingereiht hat und nicht schon dann, wenn die Rückwärtsfahrt kurz unterbrochen wird.
Rz. 1606
AG Leipzig
Der Verkehrsteilnehmer (1), der rückwärts aus einer Parklücke ausfährt und dadurch einen Verkehrsunfall verursacht, haftet zu 100 % für den dabei am Fahrzeug des Geschädigten entstandenen Schaden. Auf Grund des Verursachungsbeitrages des Schädigers findet eine Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Geschädigten im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG nicht statt. Der Zurückstoßende (1) hat den Unfall schuldhaft verursacht.