Rz. 1809
Rz. 1810
BGH
Pkw (1) setzt nach Erreichen der Bergkuppe zum Überholen der vorausfahrenden Fahrzeuge (2) und (3) an. Pkw (2) schert ebenfalls aus zum Überholen, obwohl sich Pkw (1) bereits in Höhe (neben) Pkw (2) befindet. Pkw (1) wird durch das Ausscheren von der Fahrbahn gedrängt und durch den Aufprall auf einen Baum getötet. Pkw (2) haftet zu 100 %. Der in einer Kolonne an dritter Stelle fahrende Fahrer ist auch nach dem strengen Maßstab, der bei der Gefährdungshaftung des § 7 StVG an den Idealfahrer zu stellen ist, nicht in jedem Fall verpflichtet, dem Vorausfahrenden den Vortritt beim Überholen zu lassen. Auch der Idealfahrer muss sich darauf verlassen können, dass sein Vordermann nicht ausschert, ohne vorher ein Blinkzeichen gegeben zu haben.
Rz. 1811
BGH
Von einem Idealfahrer ist zu verlangen, die konkrete Verkehrssituation auch auf andere Umstände hin zu beobachten, die es nahelegen können, dass der Vorausfahrende seinerseits überholen will. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vorausfahrende gleichfalls zum Überholen ansetzen will, muss der Nachfahrende seine Überholabsicht zurückstellen. Hat der Nachfolgende aber in korrekter Weise zum Überholen angesetzt, bleibt ihm der Vorrang.
Rz. 1812
BGH
Ein Pkw-Lenker (2), der sich in einer relativ langsam fahrenden Fahrzeugkolonne bewegt, ist nicht verpflichtet, auf seiner Fahrbahn äußerst rechts zu fahren, um vorschriftswidrige Überholmanöver zu ermöglichen. Pkw (2) hat sich zwar nicht, wie es § 8 Abs. 2 S. 1 StVO a.F. verlangte, auf der rechten Seite der Fahrbahn rechts gehalten, sondern ist in deren Mitte gefahren. Dazu war er aber unter den gegebenen Verkehrsbedingungen berechtigt. Das Rechtsfahrgebot war und ist keine starre Regel. Es gewährt dem Fahrzeug-Lenker einen gewissen Spielraum. Es kommt demnach darauf an, ob der Pkw-Lenker nach den gesamten Umständen "vernünftig" weit rechts fährt. Dies war hier der Fall. Er war nicht Lenker eines "langsam fahrenden" Fahrzeugs. Er fuhr in einer Fahrzeugkolonne, die sich vor ihm und nach ihm mit der gleichen Geschwindigkeit von ca. 50–60 km/h bewegte.
Rz. 1813
OLG Schleswig
Wer eine stockende Kolonne überholen will, muss nach der Örtlichkeit gewiss sein, dass kein Vorausfahrender links abbiegen will und dass eine Einscherlücke vorhanden ist. Beim Überholen sind nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 StVO grundsätzlich nur Schall- und Leuchtzeichen gestattet. Die übermäßige Verwendung von Warnblinklicht ist zu vermeiden. Der Zeit- und Verdienstausfall für die Regulierung eines Verkehrsunfalls ist Ausdruck des allgemeinen Lebensrisikos und wird nicht ersetzt (amtl. LS.).
Rz. 1814
OLG Rostock
Allein die Tatsache, dass ein Kleintransporter sein Überholmanöver aus einer Kolonne direkt hinter einer Ortschaft einleitet, bedingt noch keine unklare Verkehrslage. Möchte der Überholende drei vor ihm fahrende Fahrzeuge überholen, haftet er zu 30 % aufgrund der Betriebsgefahr, wenn es zu einer Kollision mit dem plötzlich ebenfalls zum Überholen ansetzenden mittleren Fahrzeug kommt. Unklar ist eine Verkehrslage erst dann, wenn der Überholende nicht zuverlässig beurteilen kann, was der Vorausfahrende gleich tun werde.
Rz. 1815
OLG Rostock
Kommt es zwischen einem Lkw (2) und einem Pkw (1) dadurch zu einer Kollision, dass der dem Lkw folgende Pkw-Führer aufgrund des gesetzten linken Blinkers des Lkw davon ausgeht, dies solle ihm signalisieren, er könne den Lkw überholen, ist der Unfall von dem Pkw-Fahrer grob fahrlässig verursacht worden. Gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist das Überholen bei einer unklaren Verkehrslage unzulässig. Blinkt ein vorausfahrender Lkw nach links, so liegt eine unklare Verkehrslage vor. Entweder will der Lkw überholen oder auf Gegenverkehr aufmerksam machen. Wer dennoch überholt, handelt extrem risikoreich. Eine Handhabung, dass Linksblinken bedeutet, der Gegenverkehr sei frei, besteht nicht. Der Pkw-Fahrer haftet zu 100 %.
Rz. 1816
OLG Brandenburg
Steht fest, dass ein Motorradfahrer während eines von ihm eingeleiteten Überholvorganges zweier vor ihm fahrender Kfz dem Kfz ausweicht, das ebenfalls einen Überholvorgang des vor ihm fahrenden Kfz einleiten will, liegt für beide Fahrer ein Unfall "beim Betrieb" gem. § 7 Abs. 1 StVG vor, auch wenn es zu keiner Berührung zwischen den Fahrzeugen gekommen ist. Der Motorradfahrer haftet zu 50 %.
Rz. 1817
KG
Ereignet sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Wechsel des Fahrstreifens, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dahingehend gegen den Fahrzeugführer (2), der den Fahrstreifen gewechselt hat, dass er die ihm gem. § 7 Abs. 5 StVO gebotene Sorgfaltspflichten missachtet hat.
Rz. 1818
OLG Naumburg
Bewegt sich ein mit blauem Blinklicht gekennzeichneter Verband von ca. 50 Feuerwehrfahrzeugen zum Zweck der Hochwasserbekämpfung auf der rechten Spur einer innerstädtischen mehrspurigen Straße, haftet der Halter des Verbandsfahrzeugs dem auf der linken Spur überholenden Verkehr nach §§ 7 ff. StVG zu 100 %, wenn ...