Rz. 562
Rz. 563
OLG Stuttgart
Schert ein in einer Kolonne auf der Bundesautobahn mit ca. 80–90 km/h fahrender Lkw (2) zum Überholen aus, so haftet er bei einer Kollision mit einem beim Ausscheren über 200 m entfernten Pkw (1), der sich mit ca. 170 km/h nähert, zu 80 %. Dem Fahrer (1) kann nicht alleine aus der Tatsache, dass er auf der linken Überholspur der Autobahn mit rund 170 km/h gefahren ist, ein Vorwurf gemacht werden. Ihm ist aber anzulasten, dass er beim Erkennen der Absichten des Lkw-Fahrers (2), verbotenerweise von der rechten auf die linke Spur zu fahren, nicht sofort seine Geschwindigkeit reduziert und gebremst hat. Bei einer Zeit von 4,4 Sekunden bis zum Aufprall nach dem Ausscheren hätte er bei der gebotenen Bremsreaktion seine Geschwindigkeit so weit herabsetzen können, dass der Aufprall hätte vermieden werden können. Ihm wird deshalb die Betriebsgefahr seines Kfz angerechnet mit 20 %.
Rz. 564
BGH
Bei Auffahrunfällen ist der Anscheinsbeweis nicht anwendbar, wenn zwar feststeht, dass ein Beteiligter die Spur gewechselt hat, der Sachverhalt im Übrigen aber nicht aufklärbar ist. Unter diesen Umständen kommt eine Haftungsteilung 50:50 in Betracht. Es bleibt bei der überwiegenden Beurteilung der Betriebsgefahr des Spurwechslers, so dass dieser zu ⅔ haftet.
Rz. 565
OLG Oldenburg
Fährt ein mit 200 km/h fahrendes Kfz auf ein die Spur wechselndes Kfz auf, so kommt lediglich die jeweilige Beurteilung der Betriebsgefahr in Betracht, wenn sich kein konkretes Verschulden bei den Beteiligten beweisen lässt. Unter diesen Umständen überwiegt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Spurwechslers. Er haftet deshalb zu ⅔.
Rz. 566
KG
Der im Fall des typischen Auffahrunfalls greifende Anscheinsbeweis kann nicht herangezogen werden, wenn der Vorausfahrende in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang die Spur gewechselt hatte. In einem solchen Fall haftet der Spurwechsler wegen des Verstoßes gegen § 7 Abs. 5 StVO zu 100 %.
Rz. 567
OLG Köln
Überschreitet im Baustellenbereich einer Autobahn ein Fahrzeug (1) die zulässige Höchstgeschwindigkeit, haftet dessen Fahrer zu 50 %, wenn er sein Augenmerk nicht ausreichend auf den auf der rechten Spur fahrenden Verkehr gerichtet hatte und es zum Unfall kommt, weil der Fahrer (2) von der rechten auf die linke Überholspur ausscherte.
Rz. 568
OLG Köln
Wer durch eine an sich erlaubte Geschwindigkeit von 200 km/h einen Verkehrsunfall mit verursacht, haftet allein wegen seiner Betriebsgefahr zu 50 %. Dies gilt vor allem, wenn dem Unfallgegner ein Verschulden ebenfalls nicht nachzuweisen ist. Hinsichtlich des Fahrverhaltens des Beklagten ist der bei Herannahen rückwärtigen Verkehrs immer gefahrvolle Fahrspurwechsel zu berücksichtigen. Mit Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um rund 60 % hat der Kl. ein erhebliches Gefahrenpotential geschaffen.
Rz. 569
OLG Saarbrücken
Bei einem Fahrspurwechsel ist der Anscheinsbeweis erst dann entkräftet, wenn der Fahrspurwechsel erwiesenermaßen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auffahren stand. Nur unter diesen Umständen haftet der Spurwechsler zu 100 %.
Rz. 570
LG Mosbach
Kommt es zu einem Auffahrunfall, weil ein Fahrer den anderen überholt und nach dem Wiedereinscheren plötzlich abbremst, so haften beide Fahrzeugführer zu 50 %.
Rz. 571
AG Neumünster
Ein Anscheinsbeweis zu Lasten eines auf ein anderes Kfz Auffahrenden greift dann nicht, wenn mit diesem Fahrzeug unmittelbar vorher die Spur gewechselt worden war. Vielmehr legt unter diesen Umständen der Anscheinsbeweis nahe, dass der Spurwechsler gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hat. Er haftet zu 100 %.
Rz. 572
AG Neumünster
Bei einem Unfall im Baustellenbereich hat ein überholendes Kfz bei einer Berührung des überholten Fahrzeugs aufgrund der Baustellenenge eine erhöhte Betriebsgefahr. Kann der Unfallhergang trotz durchgeführter Beweisaufnahme nicht geklärt werden, insbesondere nicht die Unfallursache ergründet werden, sind die Betriebsgefahren der beteiligten Kfz gegeneinander abzuwägen. Unter den gegebenen Umständen haftet der Überholer zu 60 %.