Rz. 707

 

Rz. 708

LG Aachen[665]

Kollidiert der Fahrer eines Pkw (1) beim Anfahren vom Fahrbahnrand mit einem gerade die Fahrspur wechselnden Pkw (2), haftet der Fahrer des Pkw (1) zu 100 %. Bei der Abwägung der Haftungsanteile nach der Kollision eines ausparkenden Fahrzeugs mit einem den Fahrstreifen wechselnden Verkehrsteilnehmer gilt der Vorrang des fließenden Verkehrs auch für die noch freie Fahrspur. Der Anfahrende muss grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, dass der andere Verkehrsteilnehmer die Fahrspur wechselt. Er hat die Gefährdung des fließenden Verkehrs auszuschließen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Anfahrende (1) den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte.

 

Rz. 709

KG[666]

Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren vom Fahrbahnrand zu einer Kollision mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs, das nach rechts den Fahrstreifen wechselt, ohne den Anfahrenden rechtzeitig erkennen zu können, so haftet der Anfahrende allein, denn der Schutzzweck des § 7 Abs. 5 StVO dient nicht dem ruhenden Verkehr oder vom Fahrbahnrand anfahrender Verkehrsteilnehmer. Der unmittelbare räumliche Zusammenhang ist jedenfalls bei einem Zusammenstoß nach etwa 10 bis 12 m vom Ort des Anfahrens gewahrt. Der Einfahrvorgang endet jedenfalls erst, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat, wofür jede Einflussnahme des Anfahrens auf das weitere Verkehrsgeschehen auszuschließen ist.

 

Rz. 710

KG[667]

Das Einfahren aus einem Parkbereich auf einen Mittelstreifen ist erst dann abgeschlossen, wenn sich der Einfahrende endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat und jede Einflussnahme des Anfahrvorgangs auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen ist. Eine Strecke von 10–15 m zwischen Anfahren und Kollision wahrt den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang.

 

Rz. 711

KG[668]

Der vom Fahrbahnrand Anfahrende hat sich nach § 10 StVO so zu verhalten, dass er den fließenden Verkehr nicht gefährdet. Der Anfahrende darf nicht darauf vertrauen, dass der rechte Fahrstreifen frei bleibt. Vielmehr muss er immer mit einem Fahrstreifenwechsel des fließenden Verkehrs rechnen. Kommt es zu einem Zusammenstoß des vom Fahrbahnrand Anfahrenden mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs, das einen auf dem rechten Fahrstreifen stehenden und dem Anfahrenden das Einfädeln in den fließenden Verkehr ermöglichenden Pkw überholt, haftet der Anfahrende zu 100 %. Zu diesem Ergebnis kommt das Gericht, weil der Anfahrende weder "überholt" im Sinne des § 5 StVO wurde noch war ein "Überholen bei unklarer Verkehrslage" gegeben. Weder Überholverbot noch § 7 Abs. 5 StVO bezwecken im Übrigen den Schutz des Anfahrenden.

 

Rz. 712

KG[669]

Wer vom Fahrbahnrand anfährt, kann sich nicht auf die "Lückenrechtsprechung" beziehen, wenn er mit einem auf der Fahrbahn befindlichen Fahrzeug zusammenstößt. Der Verzicht eines vorfahrtberechtigten Verkehrsteilnehmers auf sein Vorrecht gegenüber einem vom Fahrbahnrand anfahrenden Fahrzeugführer hat keine Bedeutung für andere, gegenüber dem Ausparkenden bevorrechtigte Fahrzeuge. Überholverbote bezwecken nicht den Schutz des vom Fahrbahnrand anfahrenden Fahrzeugführers. Die Betriebsgefahr des sich im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs tritt im Rahmen der Abwägung gem. § 17 Abs. 1 StVG zurück. Der Ausparkende haftet zu 100 %.

 

Rz. 713

OLG Dresden[670]

Für die Bestimmung der Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall sind nur erwiesene Tatsachen heranzuziehen. Wer sich in den fließenden Verkehr einfädelt, hat die größtmögliche Sorgfalt zu beachten; kommt es gleichwohl zu einem Unfall, streitet der Anscheinsbeweis gegen ihn. Dies gilt nicht, wenn der Einfahrvorgang im Unfallzeitpunkt bereits beendet war; hierbei gehört ein örtlicher Zusammenhang bis zu 12 Metern noch zum Einfahrvorgang (amtl. LS.). Kann weder die Partei auf der Geradeausspur nachweisen, dass die andere Partei sich trotz dichtem Verkehr einfädeln wollte noch diejenige auf der Einfädelspur, dass die andere Partei zu schnell war, haftet der Einbiegende zu 80 %, der Auffahrende zu 20 %.

 

Rz. 714

OLG Köln[671]

Hatte der Anfahrende (1) bereits eine Fahrstrecke von 15 m zurückgelegt, bevor es zum Auffahrunfall mit dem mit dem den rechten Fahrstreifen benutzenden Fahrzeug (2) kam, haftet der Anfahrende (1) zu ⅓.

 

Rz. 715

OLG München[672]

Kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen einem aus einem Parkplatz auf die Fahrbahn einfahrenden Kfz und einem Lkw, der vom Fahrbahnrand anfährt, und hätten beide Verkehrsteilnehmer den Unfall verhindern können, so haftet der vom Parkplatz Einfahrende zu 70 %.

 

Rz. 716

OLG München[673]

Fährt ein Kraftfahrer unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt nach § 9 Abs. 5 StVO rückwärts und kommt es dabei zu einer Kollision mit einem passierenden Fahrzeug, haftet der Rückwärtsfahrende zu 100 %. Für ein Alleinverschulden des Rückwärtsfahrenden spricht der Beweis des ersten Anscheins. Hinzu kommt ein unachtsames Anfahren vom Fahrbahnrand i.S.v. § 10 StVO, nachdem der Fahrzeugführer ...

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