Rz. 1571
Hinweis
Nach der ab dem 1.8.2002 geltenden Regelung des § 828 BGB haften Kinder nicht bei Unfällen im motorisierten Straßenverkehr gem. § 828 Abs. 2 BGB bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr für Unfälle, deren Ursache sie sind. Etwas anderes gilt nur bei vorsätzlich begangenen Taten. Der Kraftfahrer kann zwar einwenden, er habe keine Schuld am Unfall. Dennoch haftet der Kfz- oder Anhänger-Halter gem. § 7 StVG für den Schaden des Kindes. Ein Mitverschuldenseinwand geht wegen § 828 Abs. 2 StVG ins Leere. Eine Entlastung wäre nur bei "höherer Gewalt" gem. § 7 Abs. 2 StVG denkbar. Die folgenden Fälle würden deshalb bei Kindern bis zu zehn Jahren zu einer alleinigen Haftung des Kfz- oder Anhänger-Halters gem. § 7 Abs. 1 führen. Erst bei Kindern, die älter als zehn Jahre sind, kommt der Mitverschuldenseinwand in Betracht.
Rz. 1572
Rz. 1573
OLG Frankfurt a.M.
Der Vertrauensgrundsatz, der sich aus § 1 StVO ergibt, hat auch Geltung gegenüber Kindern und jugendlichen Verkehrsteilnehmern. Sofern nicht besondere Umstände auf eine Gefährdungslage hinweisen, können andere Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass sich ein 14-jähriger Fahrradfahrer den Verkehrsvorschriften entsprechend verhält. Fährt der Jugendliche neben einem anderen Radfahrer fast in der Mitte der Fahrbahn, liegt hierin noch keine besondere Gefährdung. Im Rahmen der Abwägung der Verschuldensanteile setzt ein völliges Zurücktreten der Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Fahrzeugs voraus, dass auf Seiten des Fahrradfahrers zu dem nicht verkehrsgerechten Verhalten noch eine besondere subjektive Vorwerfbarkeit hinzutritt. Von einem groben Sorgfaltspflichtverstoß des Radfahrers ist auszugehen, weil er seinen eigenen Angaben zufolge die Füße während der Fahrt von den Pedalen genommen und auf den Fahrradrahmen gesetzt hat.
Rz. 1574
OLG Koblenz
Ein fünfjähriges, auf dem Bürgersteig fahrradfahrendes Kind muss nicht derart eng überwacht werden, dass der Aufsichtspflichtige jederzeit eingreifen kann. Ebenso wenig muss der Aufsichtspflichtige dafür sorgen, dass das Kind generell vor Biegungen des Gehwegs anhält und dort verharrt. Ein Verstoß gegen die Pflicht, dem Kind auf Sicht- und Rufweite zu folgen, ist haftungsrechtlich unerheblich, wenn feststeht, dass ihre Beachtung den Unfall nicht vermieden hätte.
Rz. 1575
OLG Oldenburg
Überquert ein 15-jähriger Radfahrer (1) plötzlich und für den entgegenkommenden Kraftfahrer (2) überraschend die Fahrbahn, haftet er zu ⅔ für den Schaden, der sich bei der Kollision ereignet. Der Kraftfahrer muss bei einem 15-Jährigen nicht damit rechnen, dass dieser grob verkehrswidrig handeln wird.
Rz. 1576
OLG Hamm
Die Eltern verletzen die Aufsichtspflicht nicht, wenn sie nachweisen, dass ihr Kind das von ihm seit ca. drei Jahren benutzte Fahrrad sicher habe fahren können. Haben sie das Kind auch entsprechend angewiesen, ausschließlich den Gehsteig zu benutzen und dem Radweg und der Straße fernzubleiben und hat das Fahrverhalten keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben, kann die geschädigte Person keine Ansprüche stellen. Das Kind ist gem. § 828 Abs. 2 BGB privilegiert und haftet nicht. Gegen eine Aufsichtspflichtverletzung spricht auch, wenn sich die Eltern anlässlich der gemeinsamen Fahrten zum Kindergarten einen zuverlässigen Überblick von der Fahrsicherheit verschaffen konnten.
Rz. 1577
OLG Hamm
Versucht ein Fahrradfahrer (1), unter Benutzung des Fußgängerüberwegs die Straße fahrend zu überqueren, haftet er bei einer Kollision mit einem entgegenkommenden Kfz (2) zu ⅔.
Rz. 1578
OLG München
Ein elfjähriges radfahrendes Kind (1) wechselt plötzlich auf die Gegenfahrbahn und kollidiert dort mit einem zu schnell fahrenden Kfz (2). Unter diesen Umständen haften beide Verkehrsteilnehmer jeweils zu 50 %. Beim Herannahen eines radfahrenden Kindes auf der Gegenfahrbahn hat ein Kraftfahrer, der mit 73 km/h statt zulässiger 60 km/h auf der rechten Fahrbahnseite fährt, seine Geschwindigkeit durch deutliches Bremsen so herabzusetzen, dass er, selbst bei einem plötzlichen Hinüberwechseln des Kindes in seine Fahrspur, einen Zusammenstoß vermeiden kann. Im Rahmen der gesteigerten Sorgfaltsanforderungen des § 3 Abs. 2a StVO kann sich ein Kraftfahrer nicht damit entlasten, dass das geschädigte Kind den Eindruck erweckt habe, bereits älter als 14 Jahre zu sein. Die Verpflichtung, die Gefährdung von Kindern zu vermeiden, ist so lange zu erfüllen, bis ausgeschlossen werden kann, dass es sich um eine Person unter 14 Jahren handelt.
Rz. 1579
OLG Karlsruhe
Da Kleinstfahrräder für Kinder nicht als Fahrzeug im Sinne des § 24 StVO anzusehen sind, haftet ein Kraftfahrer bei einem Zusammenstoß mit einem vierjährigen Kind, das hinter einem Brückengeländer unvermittelt auftaucht, nicht. Ein Verschulden des Fahrers lag nicht vor, denn ein Nachweis über eine erhöhte Geschwindigkeit war nicht zu erbringen. Auch die Feststellung des Tempos des Kindes war nicht eindeutig möglich. Dies kann nicht zu Lasten des Pkw-Fahrers dahingehend...