Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 82
Ist der Mandant bei dem Verkehrsunfall verletzt worden, gehört zum Auftrag des Anwalts regelmäßig auch die Geltendmachung eines Schmerzensgeldes. Dies bringt bei der Bestimmung des Gegenstandswertes insofern Besonderheiten mit sich, als ein Schmerzensgeld im Klageverfahren ausnahmsweise nicht konkret bestimmt sein muss, sondern im Rahmen eines unbezifferten Antrags verlangt werden kann. Lediglich die vom Kläger angestrebte Größenordnung des Schmerzensgeldes muss in der Klagebegründung genannt werden.
Rz. 83
Mit diesem unbezifferten Antrag stellt der Kläger die Entscheidung über die Anspruchshöhe in das Ermessen des Gerichts. Der Streitwert ist in solchen Fällen nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO zu schätzen. Wenn das Schmerzensgeld in Form einer Rente beansprucht wird, ist der Streitwert nach § 42 Abs. 1 GKG auf den fünffachen Jahresbetrag festzusetzen, wobei der Jahresbetrag wiederum durch Schätzung zu ermitteln ist.
Rz. 84
Die Kriterien der Schätzung nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO sind umstritten.
Rz. 85
Beispiel
Anwalt A erhebt im Auftrag des F Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. In der Klageschrift führt er aus, F habe bei dem Verkehrsunfall ein HWS-Trauma erlitten und verlange ein Schmerzensgeld von mindestens 3.000 EUR. Die sonstigen Umstände des Unfallgeschehens weisen keine Besonderheiten auf. Das Gericht erkennt aufgrund Mitverschuldens des F (50 %) ein Schmerzensgeld von 500 EUR zu.
Rz. 86
Nach einer Meinung bemisst sich der Gegenstandswert nach dem Betrag, den der Kläger als angemessen bezeichnet hat. Im obigen Beispiel wäre der Wert danach auf 3.000 EUR festzusetzen. Dass der Kläger seine Meinung über die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes äußert, darf jedoch sein Kostenrisiko nicht erhöhen. Insofern sind Äußerungen des Klägers über die Höhe des seiner Meinung nach angemessenen Schmerzensgeldes für den Gegenstandswert nur dann von Bedeutung, wenn sie das Ermessen des Gerichts erkennbar nach oben oder nach unten begrenzen sollen.
Rz. 87
Nach einer weiteren Ansicht richtet sich der Gegenstandswert beim unbezifferten Leistungsantrag nach dem Betrag, auf den das Gericht im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens erkannt hat. Danach wäre im obigen Beispiel der Wert auf 500 EUR festzusetzen. Gegen eine solche Bewertung spricht jedoch, dass sich dann bei völliger Ablehnung eines Anspruchs überhaupt kein Gegenstandswert ergäbe. Im Übrigen ist es systemfremd, wenn sich die Wertfestsetzung am Verfahrensergebnis orientiert.
Rz. 88
Die dritte, zutreffende Meinung stellt darauf ab, welcher Betrag dem Kläger auf der Grundlage des klagebegründenden Sachvortrages zuzubilligen wäre. Danach ist der Streitwert im obigen Beispiel auf 1.000 EUR festzusetzen, denn dies ist der Betrag, der unter Annahme des klägerischen Sachvortrages gerechtfertigt gewesen wäre. Entscheidend ist also, welcher Betrag – den Sachvortrag des Klägers unterstellt – angemessen wäre. Bei Klagerücknahme ist der Streitwert mit dem Betrag anzusetzen, den das Gericht auf der Grundlage des Sachvortrags zur Klage auf Schmerzensgeld vermutlich zuerkannt hätte.
Rz. 89
Bei Verurteilung des Beklagten auf der Grundlage des Tatsachenvortrages des Klägers deckt sich der Streitwert mit der Verurteilungssumme. Dagegen ist die Klage teilweise zu Lasten des Klägers abzuweisen, wenn sein Obsiegen hinter dem Erfolg zurückbleibt, den er erreicht hätte, wenn er seinen gesamten Sachvortrag hätte beweisen können.
Rz. 90
Beispiel
Wenn der Kläger davon ausgeht, dass ihm voller Schadensersatz zusteht, das Gericht ihm aber ein Mitverschulden anlastet, so bestimmt sich der Streitwert nach dem vollen Betrag, den der Kläger begehrt hat. Die ihn belastende Kostenquote (§ 92 Abs. 1 S. 1 ZPO) entspricht dann seinem Mitverschuldensanteil.
Rz. 91
Ergibt sich wegen Beweisfälligkeit ein geringerer Verurteilungsbetrag, ist das auf den Gegenstandswert ohne Einfluss, da dieser vom Antragsinteresse, nicht vom Prozesserfolg abhängt. Die teilweise Beweisfälligkeit wird kostenmäßig nach § 92 ZPO erfasst. Der Unterschied zwischen dem auf der Grundlage der Klagebehauptungen errechneten Gegenstandswert und der hinter diesem Wert zurückbleibenden Verurteilungssumme darf also nur über die Kostenbelastung ausgeglichen werden, nicht durch eine Herabsetzung des Gegenstandswertes.