Rolf Schaefer, Dipl.-Jur. Malte Schaefer
Rz. 10
Für den im Arbeitsrecht tätigen Anwalt bedeutet dies folgendes: Kommt der Arbeitgeber zu einem Rechtsanwalt, weil er einen Mitarbeiter kündigen will, ist dies eine Angelegenheit. Wenn es sich dabei um eine schwangere Betriebsrätin handelt, die einen dem Arbeitgeber bekannten anerkannten Grad der Behinderung von 50 besitzt, muss der Rechtsanwalt den Arbeitgeber darauf hinweisen, dass der Arbeitgeber die Zustimmung des Gewerbeaufsichtsamtes zur Kündigung einer Schwangeren, die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung einer Schwerbehinderten und die Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung von Betriebsratsmitgliedern benötigt. Beauftragt der Arbeitgeber sodann den Anwalt, die erforderlichen Zustimmungen einzuholen, sind dies drei weitere gebührenrechtliche Angelegenheiten, weil jeweils gesonderte Verfahren einzuleiten sind. Insgesamt entstehen somit vier unterschiedliche gebührenrechtliche Angelegenheiten. Wenn der Arbeitgeber nach dem Vorliegen der Zustimmungen die Kündigung erklärt, gehört die weitere Tätigkeit des Rechtsanwalts i.d.R. zur ersten Angelegenheit (kündigungsrechtliche Beratung).
Rz. 11
Hatte der Arbeitgeber-Mandant den ersten Auftrag an den Rechtsanwalt auf eine (kündigungsrechtliche) Beratung begrenzt, muss er den Rechtsanwalt erneut beauftragen, wenn er eine Kündigungsschutzklage des betroffenen Arbeitnehmers vorliegen hat. Gegenstand des Auftrages ist diesmal die Abwehr der Kündigungsschutzklage. Dies ist eine gesonderte Angelegenheit, so dass eine Anrechnung der bereits entstandenen Gebühren gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV nicht stattfindet. § 15 Abs. 5 RVG findet hier keine Anwendung, weil der Rechtsanwalt nicht vor dem Ausspruch einer Kündigung beauftragt werden kann, eine Kündigungsschutzklage abzuwehren. Es handelt sich nicht um dieselbe Angelegenheit. Vielmehr wird der Anwalt des Arbeitgebers gerade versuchen, in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat den Arbeitnehmer von der sozialen Rechtfertigung der Kündigung zu überzeugen. Mit der Kündigungsschutzklage macht der Arbeitnehmer ein eigenes Recht, nämlich den gesetzlichen Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses, geltend, dessen Durchsetzung der Rechtsanwalt des Arbeitgebers aufgrund des neuen Auftrags abwehren soll.
Rz. 12
Gleiches gilt aus Sicht des Arbeitnehmers, wenn dieser vor dem Ausspruch einer Kündigung vom Rechtsanwalt zu seinen Möglichkeiten, das Arbeitsverhältnis zu erhalten, beraten werden will. Wenn später dennoch eine Kündigung vom Arbeitgeber ausgesprochen wird und der Arbeitnehmer diese anfechten will, so ist diese Kündigungsschutzklage gebührenrechtlich eine neue Angelegenheit.
Rz. 13
Kommt ein Arbeitnehmer mit einer Kündigung zum Rechtsanwalt, ist dies eine Angelegenheit. Fraglich ist, wie die Problematik um den so genannte Schleppnetzantrag gebührenrechtlich zu beurteilen ist. Nach dem Streitwertkatalog (Anhang, siehe § 9 Rdn 1) erfolgt keine Bewertung, wenn kein konkreter Beendigungstatbestand im Raum steht. Danach scheinen gebührenrechtliche Konsequenzen ausgeschlossen.
Nach der punktuellen Streitgegenstandstheorie des Bundesarbeitsgerichtes genügt es, dass der Arbeitnehmer den Rechtsanwalt beauftragt, gegen die erste Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben. Aus gebührenrechtlicher Sicht bedeutet dies, dass nur eine Angelegenheit und ein Auftrag vorliegen.
Rz. 14
Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, der Rechtsanwalt sei gehalten, zusätzlich zur Kündigungsschutzklage eine – unzulässige oder unbegründete – allgemeine Feststellungsklage einzureichen, um etwaige weitere Kündigungen aufzufangen (so genannter Schleppnetzantrag). Bei dieser Ansicht wäre fraglich, ob nicht zwei Aufträge (für die Kündigungsschutzklage und den Feststellungsantrag) und zwei Lebenssachverhalte vorliegen.
Allerdings soll das Erheben einer Klage, der nach dem vorliegenden Sachverhalt von vornherein kein Erfolg beschieden sein kann (die Feststellungsklage ist unzulässig oder unbegründet), eine anwaltliche Pflichtverletzung sein, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten nicht "entsprechend" belehrt und der Mandant nach der Belehrung zu dem Vorgehen nicht ausdrücklich sein Einverständnis gegeben hat. Wenn der Schleppnetzantrag entsprechend des Streitwertkataloges allerdings keine gebührenrechtlichen Folgen haben kann, erscheint auch das Entstehen eines Schadens beim Mandanten zumindest in erster Instanz ausgeschlossen. Bei der Kostenentscheidung nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO ist das Unterliegen des Klägers mit dem allgemeinen Feststellungsantrag im Rahmen der Kostenentscheidung nicht zu berücksichtigen, da diesem Antrag kein eigenständiger Wert zukommt.
Rz. 15
Wenn der Mandant den Rechtsanwalt mit der Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage beauftragt und der Rechtsanwalt diesen Auftrag annimmt, richtet sich der Auftrag darauf, das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dann kann fraglich sein, ob weitere Kündigungen als gesonderte Angelegenheiten im Sinne von §...