Rz. 50

Der BGH stellt in seiner Rspr. darauf ab, dass der gewöhnliche Aufenthalt als Anknüpfungskriterium an die Stelle der Staatsangehörigkeit getreten ist. Daher müsse ein Aufenthalt von einer Dauer verlangt werden, die im Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering oder vorübergehend sein dürfe.[82] Dies freilich bedeutet nicht, dass bei Wechsel des Aufenthalts der gewöhnliche Aufenthalt erst nach einer gewissen Zeitdauer eintreten kann. Vielmehr führt die Begründung des neuen Aufenthalts schon dann zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts, wenn sich aus den Umständen ergebe, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf längere Dauer angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig an die Stelle des bisherigen Daseinsmittelpunkts treten solle.[83]

 

Rz. 51

Das Zeitmoment spielt regelmäßig nur eine untergeordnete, allenfalls indizierende Rolle. Zwar wird als Faustformel davon ausgegangen, dass regelmäßig eine Dauer von sechs Monaten erforderlich sei.[84] Zu beachten ist jedoch, dass diese Rspr. zum MSA ergangen ist. Bei Minderjährigen, die u.U. schon nach einem halben Jahr die Sprache ihres neuen Wohnortes sprechen, geht jedoch die Integration besonders schnell vor sich. Bei Erwachsenen gilt hier anderes. Allerdings dürfte ein zweijähriger Aufenthalt regelmäßig genügen, um die Vermutung für einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.[85]

 

Rz. 52

Einen umstrittenen Spezialfall stellen die Ausländer dar, die sich im Inland ohne einen Aufenthaltstitel aufhalten (z.B. unberechtigte oder abgelehnte Asylbewerber; aus Osteuropa, China oder Afrika illegal "Eingeschleuste"). Hier wird vertreten, wegen der bevorstehenden Abschiebung könne im Inland kein gewöhnlicher Aufenthalt entstehen.[86] Allerdings überwiegt im Rahmen des gewöhnlichen Aufenthalts die normative Kraft des Faktischen: Leben die Beteiligten mehrere Jahre im Inland und sind sie hier in die soziale Umwelt integriert, liegt ein gewöhnlicher Aufenthalt vor, der auch nicht mehr dadurch entfällt, dass die Ausweisung angeordnet wurde. Dies gilt zumindest dann, wenn sie bislang durch die Ausländerbehörde im Inland geduldet wurden oder sich erfolgreich der Abschiebung durch die staatlichen Stellen entzogen haben.[87] Wie will man hier auch die Beteiligten auf den Staat verweisen, dem sie – möglicherweise schon vor einigen Jahren – endgültig den Rücken gekehrt haben?

[82] BGH NJW 1975, 1068; NJW 1993, 2049.
[83] BGH NJW 1981, 520.
[84] BGH NJW 1997, 3024; OLG Hamm NJW 1992, 637; OLG Frankfurt/M. FamRZ 1996, 1749.
[85] Z.B. Spickhoff, IPRax 1995, 187, der betont, dass einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten noch keine Indizwirkung für die soziale Integration zukomme.
[86] OLG Bremen FamRZ 1992, 962; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 1351.
[87] So OLG Nürnberg FamRZ 2003, 324; OLG Hamm NJW 1990, 651; OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 316; Erman/Hohloch, 15. Aufl. 2017, Art. 5 EGBGB Rn 50; Palandt/Thorn, 79. Aufl. 2020, Art. 5 EGBGB Rn 10.

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