Prof. Dr. Rainer Deininger
Rz. 3
Natürliche Personen sind in Deutschland nicht mehr unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, sobald sie in Deutschland weder Wohnsitz (§ 8 AO) noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) haben. Die Finanzrechtsprechung stellt jedoch nur geringe Anforderungen an die Erfüllung der beiden Begriffe, so dass ein Wohnsitz oder ein gewöhnlicher Aufenthalt im steuerlichen Sinne sehr schnell errichtet ist. Insbesondere bei starker Bindung an Deutschland, sei es aus unternehmerischen oder familiären Gründen, droht die Gefahr eines gescheiterten Wohnsitzwechsels mit ggf. für den Steuerpflichtigen sehr nachteiligen Folgen.
Rz. 4
Nach Auffassung des BFH liegt bereits ein Wohnsitz vor, wenn der Steuerpflichtige ein möbliertes Zimmer zur Benutzung bereithält, in dem sich persönliche Gegenstände befinden. Der wegzugswillige Steuerpflichtige ist daher gehalten, die selbst genutzte Immobilie zu verkaufen oder sehr langfristig zu vermieten, um einen steuerlichen Wohnsitz in Deutschland zu vermeiden. Hierbei reicht die Vermietung an volljährige Familienangehörige zwar grundsätzlich aus, solange sie nicht nur zum Schein erfolgt. Jedoch muss die Vermietung von langer Dauer sein. So reichten nach Ansicht des FG Hamburg 10 Monate Vermietungsdauer nicht aus, um eine Aufgabe des Wohnsitzes anzunehmen. Demgegenüber hat der BFH bei einer Vermietungsdauer von 27 Monaten die Aufgabe des Wohnsitzes bejaht. Nicht erforderlich ist, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland liegt.
Rz. 5
Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 23.10.2018 festgehalten, dass die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland unabhängig davon verwirklicht sein kann, ob Tätigkeiten im In- oder Ausland ausgeübt werden. Selbst ein Lebensmittelpunkt im Ausland schließe die Annahme eines Wohnsitzes und damit eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland nicht aus.
Nach § 8 AO hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Kennzeichnend für eine Wohnung ist, dass diese zum Wohnen geeignet sei, wobei auch eine bescheidene Bleibe ausreiche. Dabei ist es für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet. Nach ständiger Rechtsprechung müsse die Wohnung dem Steuerpflichtigen objektiv jederzeit, immer wenn er dies wünsche, als Bleibe zur Verfügung stehen und subjektiv von ihm zu einem jederzeitigen Wohnaufenthalt bestimmt sein.
Rz. 6
Damit kann nach § 8 AO ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mehrere Wohnsitze im In- und/oder Ausland innehaben. Weder das Einkommensteuerrecht noch Grundsätze des internationalen Steuerrechts geben nach Ansicht des BFH Anhaltspunkte für Differenzierungen, nach denen etwa nur der Wohnsitz, der als Lebensmittelpunkt genutzt wird, zur Begründung einer unbeschränkten Steuerpflicht führen könnte. Kennzeichnend für eine Wohnung ist, dass es sich – i.S. einer bescheidenen Bleibe – um Räume handelt, die zum Bewohnen geeignet sind. Die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland sei von der Frage der DBA-Ansässigkeit eines Steuerpflichtigen zu trennen. Wenn im vorliegenden Fall zwei Wohnsitze vorliegen, gelte der Steuerpflichtige zwar i.S.d. DBA als nur in Rumänien ansässig, da sich dort der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befinde. Auf die DBA-Ansässigkeit komme es aber für die Beurteilung der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht nicht an.
Rz. 7
Aus der unbeschränkten Steuerpflicht folgt das Welteinkommensprinzip, nach dem sämtliche in- und ausländischen Einkünfte grundsätzlich und zunächst einmal der deutschen Besteuerung unterliegen. Erst im zweiten Schritt ist zu beurteilen, ob und wie im Zusammenspiel mit einem anwendbaren DBA Besteuerungsrechte zugewiesen oder eingeschränkt werden, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Unterhält eine natürliche Person mehrere Wohnsitze in verschiedenen Staaten, so sind daher im ersten Schritt die nationalen Steuergesetze der beteiligten Wohnsitzstaaten zu prüfen. Diese definieren die Anknüpfungspunkte für eine unbeschränkte oder nur beschränkte Steuerpflicht und damit die Art der einzureichenden Steuererklärung.
Unterliegen bei unbeschränkter Steuerpflicht ausländische Einkünfte dem Progressionsvorbehalt und sind sonst freigestellt, führt dies zu einem Anstieg des anzuwendenden Steuersatzes, was die Steuerlast für die inländischen Einkünfte erhöht. Das kann bei der Steuerberechnung durchaus zu Unterschieden im Vergleich zur beschränkten Steuerpflicht führen, die ausschließlich inländische Einkünfte betrifft.
Rz. 8
Nach Ansicht der Finanzverwaltung genügt es, dass die Wohnung z.B. über Jahre hinweg jährlich regelmäßig zweimal zu bestimmten Zeiten über einige Wochen benutzt wird. Anhaltspunkte dafür können die Ausstattung und Einrichtung sein; nicht erforderlich ist, dass sich der Steuerpflichtige während einer Mindestanzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung au...