Rz. 244
Schließlich stellt sich die Frage, ob das deutsche Gericht dann, wenn sich aus einem der bilateralen Abkommen die Geltung ausländischen (türkischen, iranischen, russischen etc.) Erbrechts ergibt, die sich aus dem ausländischen Erbrecht ergebenden Quoten bei Geltung deutschen Güterrechts unter Heranziehung von § 1371 Abs. 1 BGB modifizieren darf.
Rz. 245
Der BGH hat bekanntlich für Art. 25 EGBGB entschieden, dass § 1371 Abs. 1 BGB das ausländische Erbstatut immer dann verdrängt, wenn deutsches Recht Güterstatut ist (güterrechtliche Qualifikation). Hintergrund war die rechtspolitische Intention, durch Gewährung des pauschalen Ausgleichs in Form eines Erbteils zu vermeiden, dass der überlebende Ehegatte im Erbfall seinen Zugewinnausgleichsanspruch ausrechnen und der Erbengemeinschaft gegenüber geltend machen muss. Der EuGH hingegen behandelt § 1371 Abs. 1 BGB im Rahmen der EuErbVO als Vorschrift, die vom Anwendungsbereich der EuErbVO erfasst wird. Dabei geht er von einer funktionellen Betrachtungsweise aus, bei der die gesetzliche Erbquote ausschließlich vom Erbstatut zu ermitteln ist (erbrechtliche Qualifikation).
Rz. 246
Selbstverständlich ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf für die Auslegung der bilateralen Abkommen ohne Bindungswirkung, vermag der EuGH doch ausschließlich das EU-Recht verbindlich auszulegen. Dennoch ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH für die Rechtsprechung und Lehre ein Erkenntnisgewinn dahingehend, dass die Qualifikation des § 1371 BGB unterschiedlich ausfallen muss, je nachdem, ob diese Frage durch einen deutschen Juristen erfolgt, der von § 1371 BGB ausgeht, oder aber durch einen ausländischen Rechtsanwender, der von der Warte des IPR aus das auf die Bestimmung der gesetzlichen Erbquoten anwendbare Recht bestimmt.
Rz. 247
Im Rahmen der Anwendung der bilateralen Abkommen ergibt sich die Verpflichtung der deutschen Gerichte aus einer völkervertraglichen Verpflichtung. Diese Regelungen wiederum sind "autonom" auszulegen. Eine Modifikation durch Regelungen des materiellen Güter- oder Erbrechts der lex fori verbietet sich schon allein deswegen, weil hierdurch die einheitliche Rechtsanwendung vereitelt würde. Insoweit ist daher auch nach Verweisung auf das türkische, iranische oder russische Erbrecht durch die einschlägigen Kollisionsnormen in den vorgenannten bilateralen Abkommen die Erbquote ausschließlich aufgrund des türkischen, iranischen bzw. russischen materiellen Erbrechts zu bestimmen. Für eine Modifikation der gesetzlichen Erbquoten durch das BGB ist also auch bei Geltung deutschen Güterstatuts kein Raum.