Rz. 322
Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG bestimmt, dass in einfachen Fällen nur eine 0,5-Geschäftsgebühr entsteht. Ein einfacher Fall soll danach vorliegen, wenn der Schuldner auf die erste Zahlungsaufforderung die Forderung zahlt.
Hinweis
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Es versteht sich von selbst, dass die Forderung nur dann beglichen ist, wenn die (berechtigte) Gesamtforderung, d.h. die Haupt- wie die Nebenforderungen beglichen wurden. Wird nur die Hauptforderung gezahlt, liegt nur dann ein einfacher Fall vor, wenn die Rechtsverfolgungskosten schon dem Grunde nach nicht geschuldet waren. Dies gilt auch dann, wenn der Schuldner überhaupt keine Rechtsverfolgungskosten zahlt, obwohl zumindest ein Teil der Nebenforderungen berechtigt sind. Er muss dann den berechtigten Teil der Nebenforderung mit der Hauptforderung zahlen. |
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Insoweit kann die verbreitete Praxis, nach der Mahnung des Rechtsdienstleisters sehr zeitnah nur die Hauptforderung unmittelbar an den Gläubiger zu zahlen, zu keiner Privilegierung bei den Kosten führen. Es liegt jedenfalls kein einfacher Fall mehr vor, wenn die Rechtsverfolgungskosten dem Grunde nach zu erstatten sind. |
Dem Schuldner wird Gelegenheit zu geben sein, auf die erste Zahlungsaufforderung in angemessener Frist die Gesamtforderung zu begleichen. Die Annahme des Gesetzgebers, dass eine Frist von zwei Wochen jedenfalls angemessen ist, steht im Einklang mit anderen Fristen etwa beim Widerspruch oder Einspruch im gerichtlichen Mahnverfahren, den angemessenen Fristen zur Einzahlung von Kosten im Rahmen der Zustellung "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO. Weitere Beispiele ließen sich finden. Diese Frist kann insoweit Rechtssicherheit geben. Andererseits ist es keine fixe Frist. Veranlasst der Gläubiger also nach Ablauf der Frist keine weiteren Maßnahmen zur Forderungseinziehung, kann der Schuldner auch über den Zeitraum von zwei Wochen hinaus "auf die erste Zahlungsaufforderung" zahlen. Die Kausalität wird also erst durch eine weitere Maßnahme unterbrochen.
Hinweis
Da es sich nur um ein Regelbeispiel handelt, sind auch Fälle denkbar, in denen trotz der Zahlung auf die erste Zahlungsaufforderung eine Kostenprivilegierung nicht in Betracht kommt. Das wird etwa anzunehmen sein, wenn die erste Zahlungsaufforderung dem Schuldner erst nach einer Adressermittlung aufgrund eines Postrückläufers oder einer schon vom Gläubiger mitgeteilten unbekannten Adresse zugeht. Gleiches gilt, wenn
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der Schuldner nach der ersten Zahlungsaufforderung zwar innerhalb der 2-Wochenfrist zahlt, zuvor aber den Rechtsdienstleister noch in erheblicher Weise durch Rückfragen, Anforderung von Unterlagen, über die er bereits verfügen sollte oder unberechtigte Einwände in Anspruch genommen hat und damit der Aufwand gerade nicht absolut unterdurchschnittlich war; |
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der Fall dadurch nicht einfach ist, dass mehrere Forderungen vom Gläubiger gegen den gleichen Schuldner zu unterschiedlichen Zeiten übergeben, dieser die erste Teilforderung auf die Erstmahnung nicht ausgeglichen hat und die weiteren Forderungen dann zusammengefasst werden mussten; |
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Gesamtschuld- oder Haftungsverhältnisse nach Aktenübergabe zu prüfen waren, etwa nach § 1357 BGB oder den §§ 124, 128, 130 oder 160 HGB; |
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aufgrund der Fallkonstellation zu entscheiden ist, ob gesetzliche oder gewillkürte Vertreter wie Eltern oder Betreuer zu kontaktieren sind oder selbst als Anspruchsgegner in Betracht kommen; |
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sich bei der Aktenanlage herausstellt, dass der Schuldner bereits verstorben ist und die Erben kontaktiert werden müssen; |
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nach Aktenanlage eine anlassgetriebene Insolvenzprüfung durchgeführt werden musste, weil etwa der Gläubiger mitteilt, bereits einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan erhalten zu haben. |
Ein einfacher Fall scheidet auch immer dann aus, wenn gleichzeitig eine Konstellation vorliegt, die über die durchschnittliche Inkassoleistung hinausgeht und den Fall besonders "umfangreich" macht. Zu diesen Konstellationen kann auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen werden.
Rz. 323
Nach der Gesetzesbegründung, nicht aber dem Wortlaut der Norm, soll ein einfacher Fall auch vorliegen, wenn sich der Schuldner in dem genannten Zeitraum von zwei Wochen auf die erste Zahlungsaufforderung mit dem Rechtsdienstleister in Verbindung setzt und eine Zahlungsvereinbarung geschlossen wird. Nach Auffassung des Gesetzgebers sei der Aufwand die Zahlungsvereinbarung zu überwachen schon mit der Einigungsgebühr abgegolten. Unabhängig von der nicht wünschenswerten Folge, dass Rechtsanwälte und Inkassodienstleister dann auf die Erstmahnung wohl keine gütliche Einigung mehr suchen und Zahlungsvereinbarungen abschließen werden, überzeugt das nicht. Die Zahlungseingangsüberwachung wird nämlich mit der Geschäftsgebühr abgegolten, so dass hier ein höherer Aufwand entsteht, während die Einigungsgebühr die Mitwirkung am Zustandekommen der Einigung abgilt. Es ist betriebswirtschaftlich kaum nicht darstellbar, dass der Rechtsdienstleister für eine 0,5-Geschäftsgebühr von 24,50 EUR bei ...