Gericht darf Hinweis auf BGH-Urteil nicht übergehen
In einer Grundsatzentscheidung hat das BVerfG sich mit der Verpflichtung von Gerichten auseinandergesetzt, Rechtsprechungshinweisen der Parteien nachzugehen. Einen Hinweis auf eine für das anhängige Verfahren relevante BGH-Entscheidung darf ein Gericht nicht übergehen, sondern muss sich in den Urteilsgründen damit auseinandersetzen.
Inkassokosten waren Gegenstand des Ausgangsverfahrens
Diesen Grundsatz hat das AG Bremen in einem anhängigen Verfahren nicht beachtet und dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte ein international tätiges US-Unternehmen, das in dem beim AG Bremen geführten Ausgangsverfahren Inkassokosten gegen eine in Deutschland ansässige Beklagte geltend gemacht hatte.
Erforderlichkeit der Inkassokosten im Streit
In dem hierüber nach Mahnbescheid und Widerspruch geführten gerichtlichen Verfahren erkannte die Beklagte die Hauptforderung sowie einen geringen Teil der Mahnkosten an und bestritt die Klageforderung im Übrigen mit der Begründung, die geltend gemachten Inkassokosten seien überzogen und nicht notwendig gewesen. Dies gelte insbesondere für die Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens.
Beschwerdeführerin stützte sich auf ein BGH-Urteil
Zu dem Hinweis des Gerichts, es halte die Inkassokosten ebenfalls für überzogen, nahm die Beschwerdeführerin schriftsätzlich ausführlich Stellung und verwies auf eine Entscheidung des BGH vom 17.9.2015 (IX ZR 280/14). Dort habe der BGH entschieden, dass zur Beitreibung einer Entgeltforderung, mit deren Begleitung sich der Schuldner in Verzug befindet, auch in einfachen Fällen die Beauftragung eines Rechtsanwalts zweckmäßig sei und der Schuldner die hierfür entstandenen Kosten zu erstatten habe. Dies müsse für die Beauftragung eines Inkassounternehmens gleichermaßen gelten.
Keine erkennbare Auseinandersetzung des AG mit Rechtsprechungshinweis
Das AG wies die Klage der Beschwerdeführerin ab und beschäftigte sich in den Urteilsgründen ausführlich mit der Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten. Das seitens der Beschwerdeführerin angeführte Urteil des BGH erwähnte das Gericht jedoch nicht. Die Berufung gegen das Urteil ließ das AG nicht zu. Die hiergegen gemäß § 321a ZPO eingelegte Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin blieb ohne Erfolg.
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
Die gegen das klageabweisende Urteil des AG eingelegte Verfassungsbeschwerde bewertete das BVerfG als offensichtlich begründet. Das angegriffene Urteil des AG verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasse nicht nur die rechtsstaatliche Gewähr, dass die an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorbringens Gehör finden, vielmehr seien sie auch mit ihren Rechtsausführungen zu hören.
Urteilsgründe müssen Berücksichtigung von Parteivorbringen erkennen lassen
Nach der Entscheidung des BVerfG beinhaltet der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur die Kenntnisnahme der Ausführungen der Prozessbeteiligten durch das Gericht, sondern auch die Pflicht des Gerichts, das Vorbringen der Parteien in Erwägung zu ziehen und sich damit auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung mit dem maßgeblichen Vorbringen der Parteien müsse in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommen, auch wenn das Gericht insoweit eine gewisse Freiheit habe, sich in der Urteilsbegründung auf die für den Ausgang des Rechtsstreits wesentlichen Aspekte zu beschränken.
Keine hinreichende Beachtung maßgeblichen Rechtsvorbringens
Im konkreten Fall maß das BVerfG den Hinweisen der Beschwerdeführerin auf die Entscheidung des BGH vom 17.9.2015 zur Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten eine maßgebliche Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits zu. Da das zitierte BGH-Urteil lediglich die Beauftragung eines Rechtsanwalts betreffe, stelle sich zwar die Frage, ob die Entscheidung ohne weiteres auf Inkassounternehmen übertragen werden könne, exakt in diese Richtung habe die Beschwerdeführerin vor dem AG aber argumentiert. Sie habe daher eine Auseinandersetzung des AG mit dieser Frage in den Urteilsgründen erwarten dürfen. Das Schweigen in den Entscheidungsgründen zu diesem Vorbringen lasse den Schluss zu, dass das AG dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht oder nicht hinreichend beachtet habe.
Verfassungsbeschwerde erfolgreich
Damit stellte das BVerfG einen Gehörsverstoß durch das AG fest. Es sei nicht auszuschließen, dass das Gericht bei angemessener Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Das BVerfG hob das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des AG daher auf und verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das AG zurück.
(BVerfG, Beschluss v. 28.4.2023, 2 BvR 924/21)
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