Rz. 86
Diffiziler gestaltet sich die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Pauschale und tatsächlich angefallenen Kosten verhält. Nach Art. 6 Abs. 2 und 3 der Richtlinie soll die Pauschale als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers dienen. Zusätzlich zum Pauschalbetrag können auch Beitreibungskosten geltend gemacht werden, die diesen Betrag überschreiten. Zu diesen Kosten können auch Kosten der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassodienstleisters gehören.
Der Bundesgesetzgeber hat in § 288 Abs. 5 S. 3 BGB festgelegt, dass die Pauschale auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen ist, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
Wirken diese Regelungen auf den ersten Blick noch konsistent, so entwickelt sich jedoch bei näherer Betrachtung eine spannende und mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen verbundene Diskussion: Welche Kosten sind auf einen Schadenersatzanspruch anzurechnen?
Die Gesetzesbegründung gibt ihrerseits keinen Aufschluss über die Intention des Gesetzgebers. Zu der Anrechnungsbestimmung in § 288 Abs. 5 S. 3 BGB heißt es dort lediglich:
Zitat
In Umsetzung von Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie 2011/7/EU muss sich der Gläubiger den Pauschalbetrag anrechnen lassen, wenn er die diesen übersteigenden tatsächlichen Rechtsverfolgungskosten geltend macht.
Der deutsche Gesetzgeber scheint davon auszugehen, dass die mit der Neuregelung umgesetzte EU-Richtlinie eine grundsätzliche Anrechnung der Pauschale auf die Geltendmachung von Beitreibungskosten vorsieht, egal woraus diese resultieren. Bereits im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens war die Problematik erkannt und kontrovers diskutiert worden.
Rz. 87
Der Bundesrat hatte frühzeitig Überlegungen angestellt, zwischen internen und externen Beitreibungskosten zu differenzieren.
Externe Beitreibungskosten sind Kosten, deren Verursachung durch Maßnahmen bedingt sind, die nach außen wirken und final den Gläubigeranspruch realisieren sollen. Dazu gehören z.B. Kosten, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwaltes oder eines Inkassodienstleisters und der daraus resultierenden Maßnahmen entstehen. Nicht hingegen der Aufwand, den der Gläubiger intern durch Schuldnerverwaltung, Überwachung der Zahlungseingänge, Personal- und Bürokosten aufbringen muss.
Der Bundesrat wollte die Anrechnung der Entschädigungspauschale auf die Kosten der Rechtsverfolgung ausdrücklich auf die internen Beitreibungskosten begrenzen. Die Ländervertreter waren der Auffassung, anderenfalls eine Ungleichbehandlung zu begründen, da dem Gläubiger, der eine umgehende Zahlung nach Eintritt des Schuldnerverzugs erwirkt, die Pauschale ungeschmälert verbleibt, während diese in Fällen der Beauftragung eines Dienstleisters durch Anrechnung auf die Vergütungsansprüche aufgezehrt werde. Zudem wurde weiter angeführt, dass auch auf Schuldnerseite eine Ungleichbehandlung drohe. Zahle der Schuldner nämlich erst nach Einschaltung eines Inkassodienstleisters oder Rechtsanwalts, werde er im Ergebnis bessergestellt als derjenige Schuldner, der unmittelbar nach Verzugseintritt ohne weitere Maßnahmen vonseiten des Gläubigers die Forderung begleiche. Denn nur Letzterer müsse tatsächlich eine "Entschädigung" für internen Aufwand des Gläubigers entrichten. Der hartnäckige Schuldner, der erst nach Unterstützung des Gläubigers durch externe Dienstleister auf die Forderung zahle, werde so für seine anhaltende Vertragsuntreue auch noch belohnt. Eine Entschädigungspauschale könne aber nur dann die beabsichtigte abschreckende Wirkung entfalten, wenn sie auch Bestand habe und nicht, wenn sie nachträglich aufgrund der Vertragsuntreue des Schuldners entfällt.
Rz. 88
Der Bundestag ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt. Die Bundesregierung erklärte, sie wolle für den Gläubiger keinen Anreiz schaffen, sofort externe Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die pauschale Entschädigung zu kassieren Die Gesetzesbegründung geht also davon aus, dass alle zuvor entstandenen Beitreibungskosten, also sowohl interne als auch externe Kosten, gleichsam Kosten der Rechtsverfolgung sind und auf den Schadenersatz anzurechnen sind. Diese Annahme unterliegt jedoch berechtigten Zweifeln, da die Richtlinie 2011/7/EU nach ihrem Wortlaut und in der Begründung eine differenzierte Handhabung fordert.
Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie geht davon aus, dass die Rechtsanwalts- und Inkassokosten immer Kosten sind, die die Pauschale übersteigen, weil die Pauschale selbst nur die eigenen, internen Beitreibungskosten des Gläubigers abdecken soll. Hierfür spricht die Formulierung "zu diesen Kosten", die offenbar ausschließlich auf die überschießenden Kosten Bezug nimmt. Noch klarer und deutlicher formulieren die Erwägungsgründe 19 und 20 der Richtlinie 2011/7/EU die Intention des Richtliniengebers. Dort heißt es:
Zitat
(19) Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erfo...