Rz. 138
In der Rechtsprechung der Amtsgerichte wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob Großgläubigern die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsdienstleisters zu versagen ist, weil sie aufgrund ihrer personellen und sachlichen Ausstattung auch in der Lage seien, jedenfalls die vorgerichtliche Forderungsbeitreibung selbst zu gestalten. Diesen Ansatz verfolgt auch die Verbraucherzentrale Bundesverband mit ihrer Musterfeststellungsklage.
Dazu folgende Beispiele aus der amtsgerichtlichen Praxis, anhand derer "landläufige Auffassungen" in ihrer Unbegründetheit aufgezeigt werden können.
Das AG Dortmund hat – von Amts wegen und ohne Einwand des Schuldners (!) – entschieden, dass bei einem gewerblichen Großvermieter die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes grundsätzlich nicht notwendig sei und die damit verbundenen Kosten deshalb auch nicht als Rechtsverfolgungskosten erstattungsfähig sein könnten. Das Amtsgericht sieht den identischen Fall wie bei der Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit der Kündigung des Mietverhältnisses nach einem Zahlungsverzug. Hier hat der BGH die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die anwaltliche Vertretung verneint. Der Geschädigte könne nur solche Aufwendungen ersetzt verlangen, die zur Wahrung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Jedenfalls habe die Gläubigerin gegen ihre Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB verstoßen. Die anwaltlichen Mahnungen seien standardisiert. Das könne die Gläubigerin, die zuvor zwei eigene Mahnungen versende, auch alleine machen. Das Mahnwesen gehöre zu den im Mietrecht nicht umlagefähigen Verwaltungskosten. Der Aufwand für die Forderungseinziehung gehöre auch bei Schuldnern, die sich in Verzug befinden, nach dem allgemeinem Schuldrecht nicht zum ersatzfähigen Schaden. Das Amtsgericht Essen-Steele fügt dem noch die argumentative Variante bei, dass nach zwei kaufmännischen Mahnungen dem Rechtsanwalt kein vorgerichtlicher Vertretungsauftrag mehr erteilt werden dürfe, sondern unmittelbar Klageauftrag zu erteilen sei um dem Kostenminimierungsgebot zu genügen.
Auch wenn die Entscheidungen keinen nachhaltigen Rückhalt in der Rechtsprechung gefunden und eine Mehrzahl der Gerichte bei identischen Fällen anders entschieden haben, stellt sich die Frage, ob die anwaltliche vorgerichtliche Interessenvertretung für Großmandanten in der Forderungsbeitreibung in Frage zu stellen ist. Die konkreten Fälle vor dem BGH betreffen allesamt das Mietrecht mit einem Großvermieter als Gläubiger. Sie müssen allerdings aufgrund der Begründung insofern verallgemeinert werden, als sie in Frage stellen, ob "Großunternehmen" die vorgerichtliche Forderungsbeitreibung stets selbst übernehmen müssen und keinen Rechtsdienstleister mehr einsetzen dürfen. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen, dass die von der Instanzenrechtsprechung ins Feld geführten Argumente nicht mit der geltenden Rechtslage und auch nicht mit dem vom BGH zur Kostenerstattung entworfenen Gesamtbild übereinstimmen bzw. nicht überzeugen sowie in rechtstatsächlicher Hinsicht Erkenntnisdefizite bestehen. Die jeweiligen Tätigkeiten der Rechtsdienstleister dienten nicht der Schadensfeststellung und außergerichtlichen Abwicklung, sondern der Schadensbeseitigung und haben damit die Grenze der Eigenobliegenheiten überschritten.
Die Untersuchung der Argumente des AG Dortmund und des AG Essen-Steele zeigen, dass sie im Ergebnis nicht tragen, insbesondere anerkannte Rechtsgrundsätze unberücksichtigt bleiben, die juristische Arbeitsmethode nicht hinreichend angewandt und die gesetzgeberischen Grundentscheidungen nicht nachhaltig respektiert wurden. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die beiden Amtsgerichte ihren missglückten Versuch, Inkassokosten als generell nicht erstattungsfähig zu qualifizieren, auf anderem Feld weiterführen, nachdem sie (auch dort) mit ihren Argumenten nicht durchgedrungen sind. Dass auch der Gesetzgeber solchen Ansätzen nicht folgen möchte, zeigt das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht. Weder haben entsprechende Überlegungen Eingang in die gesetzliche Regelung gefunden noch wurde dies als denkbare Alternative erörtert.