(1) Das Entstehen des Gebührentatbestandes
Rz. 318
Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, bei der Forderungseinziehung die Relation zwischen den anfallenden Gebühren und dem tatsächlichen Aufwand zu verändern. Neben der – tatsächlich nicht untersuchten – Behauptung zum geringeren Aufwand wird geltend gemacht, dass eine Geschäftsgebühr, die die Hauptforderung überschreitet, keine gesellschaftliche Akzeptanz findet.
Hinweis
Während die erste Behauptung nicht belegt ist, ist die zweite Behauptung sachfremd.
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Dass der Aufwand für die vorgerichtliche Einziehung einer Forderung unter 50 EUR im Durchschnitt mit 27 EUR (0,9 aus 30 EUR), auskömmlich gestaltet werden kann, ist weder untersucht noch sonst ersichtlich. Aus diesem Betrag müssen die Personal- und Sachkosten wie etwa auch die Miete und Büroeinrichtung bestritten werden. |
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Eine Untersuchung in der Schweiz kommt zu einem durchschnittlichen vorgerichtlichen Zeitaufwand für die Forderungseinziehung ab dem Zeitpunkt der erfolglosen 2. vorgerichtlichen Mahnung von 157,9 Minuten. Dabei haben die Experten die durchschnittlichen Aktivitäten in ihrer Art und ihrer Häufigkeit (!) bewertet. Wollte man daran die eigentliche Vergütung von bisher 58,50 EUR (1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert bis 500 EUR) messen, ergibt sich ein Stundenlohn von 22,23 EUR. Davon muss der Rechtsdienstleister noch die Personalkosten und seine allgemeinen Bürokosten sowie die Steuern bestreiten. Auch wenn für Deutschland – bedauerlicherweise – eine vergleichbare Untersuchung fehlt, deutet die Studie jedenfalls nicht darauf hin, dass die bis zum 30.9.2021 im RVG vorgesehenen Gebühren zu niedrig bemessen sind. Dabei muss beachtet werden, dass die Arbeitsschritte in der vorgerichtlichen Forderungseinziehung weit über ein einziges Mahnschreiben hinausgehen und sich die Geschäftsgebühr trotz der weiteren Aktivitäten nicht erhöht. Letztlich ist der Rechtsdienstleister in den unteren Streitwertgruppen eher unterbezahlt, bei höheren Streitwerten überbezahlt. Dem RVG liegt insoweit eine Mischkalkulation zugrunde. Der Nachteil im Masseninkasso: Hier liegt die durchschnittliche Forderung deutlich unter 500 EUR und damit stets in der niedrigsten Streitwertgruppe, davon liegt wieder ein überproportional höher Anteil unter 50 EUR, weil Rechtsanwälte diese Forderungen aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht einziehen wollen. Ein fatales Signal für die Zahlungsmoral, wenn sich diese Sichtweise durchsetzen würde. |
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Die zweite Behauptung steht in keiner Beziehung zum Aufwand und trägt auch in der Sache nicht. Es kann tatsächlich keine gesellschaftliche Akzeptanz finden, wenn der Schuldner durch die Nichtleistung eine Pflichtverletzung begeht, sich also rechtswidrig verhält. Gerade bei kleinen Forderungen sollte auch die Leistungsfähigkeit kein Hindernis zum Forderungsausgleich darstellen. Dies gilt umso mehr, wenn der Schuldner sich "sehenden Auges" in die Situation der Pflichtverletzung begibt, d.h. trotz mangelnder Leistungsfähigkeit eine Verpflichtung eingeht. Ob eine Forderung 500 EUR, 100 EUR oder 29,90 EUR hoch ist, bleibt dabei wiederum für den Aufwand der vorgerichtlichen Forderungseinziehung zunächst ohne Relevanz. Wollte man hier eine gesellschaftliche Verantwortung der Rechtsanwälte oder Inkassodienstleister sehen, hätte der Gesetzgeber an anderer Stelle eine Kompensation finden müssen. |
(2) Die Regelgebühr beim durchschnittlichen Fall
Rz. 319
Der durchschnittliche Fall einer Inkassodienstleistung ist durch die automatisierte und standardisierte Aktenanlage aufgrund einer elektronischen Datenübermittlung, in der Regel via Schnittstelle, eine Schlüssigkeitsprüfung auf abstrakt-genereller Ebene, einen oder mehrere Kommunikationsversuche mit dem Schuldner auf schriftlicher, elektronischer oder fernmündlicher Basis und die Zahlungseingangsüberwachung sowie die Bearbeitung auf Sachbearbeiterebene nur unter Kontrolle des Rechtsanwaltes oder der qualifizierten Person im Sinne des § 12 Abs. 4 RDG gekennzeichnet. Geht die Leistung darüber hinaus liegt ein umfangreicher Fall vor, zahlt der Schuldner dagegen ohne weiteres auf die Erstmahnung des Rechtsdienstleisters, liegt in der Regel ein einfacher Fall vor. Der Regelfall ist mangels anderer Ermessensgesichtspunkte im Rahmen des § 14 RVG mit einer 0,9-Geschäftsgebühr pflichtgemäß bestimmt.
Aus der ex-ante-Sicht des Rech...