Rz. 149
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil der Gläubiger sein Unternehmen in der Organisation nicht auf eine fortgesetzte Forderungsbeitreibung ausgerichtet hat. Eigentlich genügt dazu schon ein Hinweis auf die ältere BGH-Rechtsprechung:
Zitat
"In der Regel (ist) niemand gehalten – auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht – derartige Arbeiten, soweit sie Dritten übertragen werden können, selbst auszuführen; wenn diese Arbeiten Dritten übertragen werden, sind die dafür entstehenden Kosten auch zurechenbare Folge der Sachbeschädigung."
Eine systematische Prüfung zeigt auf, dass in der externen Erledigung der Forderungseinziehung kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht liegt. Sie trägt die fortbestehende Auffassung des Bundesgerichtshofes, der autonomen Organisation des Forderungsmanagements durch ein Wirtschaftsunternehmen. § 254 Abs. 2 BGB legt dem Gläubiger – soweit hier relevant – hierauf aufbauend nur zwei Pflichten auf:
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Einerseits muss er den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste. |
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Andererseits muss er sich darum bemühen, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. |
Der ersten Voraussetzung muss in der dargestellten Weise im Rahmen einer ersten oder zweiten Mahnung des Gläubigers Rechnung getragen werden. Ein Verstoß gegen die zweite Voraussetzung liegt nicht darin, dass überhaupt ein Rechtsanwalt beauftragt wird. Der Geschädigte kann grundsätzlich einen Rechtsdienstleister einschalten, und zwar auch dann, wenn es sich um keinen besonders schwierig gelagerten Fall handelt. Eine Ausnahme gilt, wenn der Schädiger alsbaldige Erfüllung der dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Forderung zugesagt hat und kein Anlass besteht, an der Einhaltung der Zusage zu zweifeln; (nur) in diesem Fall verstößt die Beauftragung eines Rechtsdienstleisters gegen die Obliegenheit zur Schadensminderung.
Rz. 150
Inhalt der Schadensminderungspflicht ist dagegen nicht die Pflicht, die Aufgaben eines Rechtsdienstleisters jenseits der eigenen vertraglichen Obliegenheiten zu übernehmen oder gar die eigene Unternehmensorganisation hierauf auszurichten. So hat der BGH bereits entschieden, dass in einem einfach gelagerten Schadensfall, in dem die Haftung nach Grund und Höhe derart klar ist, dass aus der Sicht des Geschädigten kein Anlass zu Zweifeln an der Ersatzpflicht des Schädigers besteht, für die erstmalige Geltendmachung des Anspruchs die Einschaltung eines Rechtsanwalts nur dann erforderlich ist, wenn der Geschädigte selbst hierzu aus besonderen Gründen – wie etwa Mängeln an geschäftlicher Gewandtheit – nicht in der Lage ist. Reagiert der Schädiger darauf aber nicht mit der unverzüglichen Regulierung des Schadens, kann die weitere Bearbeitung des Schadensfalls auf Kosten des Schädigers einem Rechtsanwalt übertragen werden. Der BGH sieht sich in seiner Entscheidung ausdrücklich zu einer Klarstellung im Sinne des zweiten Leitsatzes veranlasst, weil er sich offensichtlich vielfach missverstanden sieht. Das liegt auf der Linie der Entscheidung vom 17.9.2015. Gerät der Schuldner in Zahlungsverzug, ist danach auch in rechtlich einfach gelagerten Fällen die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts zweckmäßig und erforderlich. Nichts anderes kann für die Beauftragung eines Inkassodienstleisters gelten.
Rz. 151
Diese Sichtweise zieht die Verbraucherzentrale Bundesverband mit ihrer am 12.8.2021 eingereichten Musterfeststellungsklage jedenfalls für den Fall in Zweifel, in dem der Gläubiger mit der Forderungseinziehung ein verbundenes Unternehmen als Inkassodienstleister im Sinne der §§ 15 ff. AktG mit der Forderungseinziehung beauftragt. Dabei sei unerheblich, ob die einzuziehende Forderung in einem ebenfalls verbundenen Unternahmen ursprünglich entstanden sei oder von einem beliebigen Dritten im Wege des Forderungsverkaufes erworben wurde. Dem wird zu widersprechen sein. Es kommt nicht darauf an, wer die Forderungseinziehung betreibt und der Gläubiger ist auch nicht gehalten, eine dem Schuldner entgegenkommende Organisationsform zu wählen. Entscheidend ist allein, ob der Gläubiger seine Eigenobliegenheiten erfüllt hat und deshalb berechtigt ist einen Rechtsdienstleister zu beauftragen. Die Eigenobliegenheiten wiederum bestimmen sich primär nach den vertraglichen und sodann nach den gesetzlichen Bestimmungen. Letztere bieten keinen Anhalt dafür, dass die Unternehmensgröße oder die Unternehmensorganisation in diesem Kontext von Relevanz sind. Den Fragen wird nachfolgend noch einmal unter dem Aspekt des Konzerninkasso nachzugehen sein. Der Musterfeststellungsklage ist zumindest zu verdanken, dass der Bundesgerichtshof voraussichtlich Gelegenheit erhält, die Streitfragen zu entscheiden. Soweit dabei auch B2B-Fälle mit im Fokus stehen sollten, wird ggfs. auch der EuGH im Hinblick auf die EU-Zahlungsverzugsrichtli...