Rz. 161
Das AG Essen-Steele ist beispielhaft der Auffassung, dass nach zwei kaufmännischen Mahnungen die vorgerichtliche anwaltliche Mahnung aus einem ganz anderen Grunde nicht mehr sachgerecht sei. Sofern weitere Zahlungsaufforderungen nicht durch eigene Mitarbeiter versandt würden, sei dem Rechtsanwalt nämlich schon aus Kostengründen ein unmittelbarer Klageauftrag und nicht nur ein Auftrag zur vorgerichtlichen Interessenwahrnehmung zu erteilen. Die Erinnerungsmahnung sei dann mit der Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens abgegolten.
Rz. 162
Das Amtsgericht bezieht sich zur Rechtfertigung seiner Sicht der Dinge auf eine Entscheidung des BGH vom 11.12.1986 die allerdings genau das Gegenteil begründet. Nach dem BGH umfasst die Ersatzpflicht nach §§ 280, 286 BGB die vorprozessualen Anwaltskosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Das sei der Fall, wenn ein verständiger Gläubiger nach der Lebenserfahrung weiteres Warten für unnötig und nicht sachgemäß halten darf. Genau gegenteilig als das Amtsgericht hat der BGH die dortigen Kläger für berechtigt gehalten, einen Rechtsanwalt vorgerichtlich zu beauftragen, nachdem die dortige Beklagte vorgerichtlich einem wiederholten Herausgabeverlangen nicht Rechnung getragen hatte. Der BGH hat also gerade nicht den Grundsatz aufgestellt, dass die Kosten einer anwaltlichen Mahnung nach wiederholten kaufmännischen Mahnungen nicht mehr erstattungsfähig seien. Das Amtsgericht zitiert falsch und versucht in seiner Entscheidung eine gerade nicht vorhandene Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung herzustellen. Ein leider häufig festzustellendes Phänomen. Tatsächlich erachtet der BGH nicht nur die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes für zulässig, sondern spricht auch ausdrücklich aus, dass dabei keine Beschränkung des Auftrages auf ein einfaches Schreiben nach Nr. 2301 VV RVG erfolgen muss. Dies soll auch gelten, wenn eine rechtlich hinreichend erfahrene Partei – im Fall des BGH ein Unternehmen – Ansprüche verfolgt. Der Grund liegt darin, dass die vorgerichtliche Forderungseinziehung durch einen Rechtsdienstleister eine neue Form der Nachdrücklichkeit und Ernsthaftigkeit begründet und gleichwohl kostengünstiger bleibt als die Titulierung und Vollstreckung.
Rz. 163
Auch die Kostenrechnung geht nicht auf. Ausgehend davon, dass der Rechtsanwalt vorgerichtlich eine 0,9-Verfahrensgebühr nach Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG erhebt, ist die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG schon höher, zieht aber auch noch die Terminsgebühr nach 3104 VV RVG und ggf. mehrere (!) Gebühren im Vollstreckungsverfahren nach Nr. 3309, 3310 VV RVG nach sich. Hinzu kommen die gerichtliche 3,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KVGKG von mindestens 114 EUR sowie die Kosten der Vollstreckungsorgane.
Rz. 164
Wollte man von einem allein sachdienlichen Auftrag zur Durchführung des gerichtlichen Mahnverfahrens ausgehen, stellt sich die Situation nicht anders dar. Hier entsteht die zwar günstigere 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 für die Beantragung des Mahnbescheides, aber eben anschließend auch die 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3308 VV RVG für die Beantragung des Vollstreckungsbescheides, was die regelmäßig erhobene 0,9-Geschäftsgebühr schon übersteigt, zumal ohne vorgerichtliche Beauftragung eine Anrechnung unterbleibt. Auch hier kommen dann die 0,5-Gerichtsgebühr nach Nr. 1100 KVGKG, mindestens 36 EUR, sowie in der Zwangsvollstreckung weitere Gebühren und Auslagen hinzu. Demgegenüber ist eine vorgerichtliche Sicherungsabtretung des Arbeitslohnes oder des Bankguthabens weitaus billiger als eine Pfändung eben dieser Ansprüche. So verursacht die Abnahme der Vermögensauskunft neben der 0,3-Verfahrensgebühr des Rechtsanwaltes Gebühren und Auslagen des Gerichtsvollziehers nicht unter 50 EUR, der Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mehr als 60 EUR. Die Sichtweise des Amtsgerichtes zur kostensparenden Vorgehensweise ist also auch schlicht "zu kurz gedacht".
Rz. 165
Das Amtsgericht übersieht auch, dass die vorgerichtliche Geschäftsgebühr nur zur Hälfte verbleibt, da bei einer erfolglosen vorgerichtlichen Forderungseinziehung die andere Hälfte auf die nachfolgenden Gebühren anzurechnen sind.
Rz. 166
Eine Beauftragung in der vom Amtsgericht bevorzugten Weise birgt aber noch eine weitere Gefahr für den Schuldner, der die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens auf die anwaltliche Mahnung verhindern will, was nach den Erfahrungen der Praxis den Regelfall und eben nicht die Ausnahme darstellt: Meldet sich der Schuldner bei dem Rechtsanwalt nach der mit der Erinnerungsmahnung verbundenen Klageandrohung, um die Angelegenheit zu besprechen und eine gütliche Einigung zu suchen, fällt im Erfolgsfall nicht nur eine 0,7-Einigungsgebühr nach Nrn. 1000 Nr. 2, 1003 VV RVG sondern nach der Vorbem. 3.3.2. i.V.m. Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3104 VV RVG letztlich auch eine 1,2-Terminsgebühr, neben der ermäßigten 0,5-Verf...