Rz. 23

Die Neuregelung des § 706 BGB (Sitz der Gesellschaft) – § 706 BGB alt regelte die Beitragspflicht der Gesellschafter – hat folgenden Wortlaut:

 

Sitz der Gesellschaft ist der Ort, an dem deren Geschäfte tatsächlich geführt werden (Verwaltungssitz). Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen und haben die Gesellschafter einen Ort im Inland als Sitz vereinbart (Vertragssitz), so ist abweichend von Satz 1 dieser Ort Sitz der Gesellschaft.

1. Legaldefinition von Verwaltungs- und Vertragssitz

 

Rz. 24

§ 706 BGB definiert zum ersten Mal legal den Verwaltungs- und den Vertragssitz. Verwaltungssitz ist der Ort, an dem die Verwaltung tatsächlich geführt wird. Der Gesetzgeber war der Ansicht, dass der Begriff "Verwaltungssitz" im Übrigen einer weiteren sinnvollen Konkretisierung nicht zugänglich sei.

2. Trennung des Verwaltungssitzes vom Vertragssitz

 

Rz. 25

Unter bestimmten Voraussetzungen – nämlich, wenn die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen ist und die Gesellschafter einen Ort im Inland als Sitz vereinbart haben – ist eine Trennung des Verwaltungs- vom Vertragssitz möglich, und zwar unabhängig davon, ob die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat hat.

Damit ermöglicht der Gesetzgeber eine freie Sitzwahl bei der GbR.

Die Gesellschafter einer GbR können infolge § 706 BGB einen auch nach außen hin verbindlichen Vertragssitz vereinbaren. Der Vertragssitz kann vom Verwaltungssitz abweichen.

 

Rz. 26

Das Sitzwahlrecht unterliegt zwei Beschränkungen:

Es greift nur dann, wenn die GbR im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Dies liegt darin begründet, dass aufgrund der Bedeutung des Sitzes bspw. im Hinblick auf die Zuständigkeit des Registergerichts (vgl. § 707 Abs. 1 BGB), des Prozessgerichts (§ 17 Abs. 1 S. 2 ZPO) bzw. des Insolvenzgerichts (§§ 3, 4 InsO) die Sitzwahl einer "verlässlichen Grundlage" bedarf.[38] Insoweit bietet der formlos mögliche Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft – im Vergleich zur notariell zu beurkundenden Satzung einer GmbH (§ 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG) oder AG (§ 23 Abs. 1 S. 1 AktG) – nur dann eine verlässliche Grundlage für die Sitzbestimmung, wenn die Angabe zum Sitz zur Eintragung in das Gesellschaftsregister angemeldet wird. Dann wird nämlich der Sitz – der Gegenstand einer Einigung zwischen den Gesellschaftern ist – nach § 707 Abs. 1 BGB dem Registergericht im Rahmen der Anmeldung mitgeteilt. Da sämtliche Gesellschafter gemäß § 707 Abs. 4 S. 1 BGB die Eintragung bewilligen müssen, wird so sichergestellt, dass die Einigung auf diesen "vereinbarten" Sitz auch dem tatsächlichen Willen aller Gesellschafter entspricht. In Bezug auf die GbR hängt das Sitzwahlrecht somit davon ab, ob die – d.h. alle – Gesellschafter von ihrem Eintragungswahlrecht Gebrauch machen.
Die Gesellschafter müssen zudem einen Ort im Inland als Sitz vereinbart haben (Vertragssitz). Der Vertragssitz muss somit – insoweit der Wertung des § 4a GmbHG folgend – zwingend im Inland belegen sein. Die Gesellschaft muss fest in der deutschen Rechtsordnung "verankert" werden, weil ein ausländischer Vertragssitz die Durchsetzung deutschen Gesellschaftsrechts durch deutsche Gerichte und Behörden erschweren oder gar verhindern würde.[39]
[38] Zur freien Sitzwahl für Personenhandelsgesellschaften näher Koch, ZHR 173 (2009), 101, 106.
[39] So Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 4a Rn 5.

3. Entsprechende Anwendung des Regelungsgehalts auf die OHG, KG und PartG

 

Rz. 27

§ 706 BGB findet über die Verweisvorschriften des

§ 105 Abs. 3 HGB,
§ 161 Abs. 2 HGB und
§ 1 Abs. 4 PartGG

"auch und gerade" auf die OHG, die KG und die Partnerschaftsgesellschaft "entsprechende Anwendung".

Damit ermöglicht der Gesetzgeber jetzt auch bei den Personenhandelsgesellschaften und der Partnerschaftsgesellschaft eine freie Sitzwahl. Zugleich greift er eine Empfehlung des 71. DJT nach freier Sitzwahl für Personen(handels)gesellschaften auf und setzt diese um.[40]

[40] Vgl. den Beschluss 26 des 71. DJT, in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Bd. II/2, 2017, S. O223.

a) Bisherige Rechtslage

 

Rz. 28

Nach bisheriger Rechtslage konnte der Sitz einer Personen(handels)gesellschaft nicht frei gewählt werden. Ungeachtet der Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag war der Sitz immer dort zu verorten, wo sich die faktische Geschäftsleitung der Personen(handels)gesellschaft befand.[41] Wenn der dergestalt bestimmte Verwaltungssitz nachträglich verlagert wurde, musste die Veränderung nach § 13h HGB und § 107 HGB alt zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden. Eine grenzüberschreitende Sitzverlegung führte zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft.[42]

Die noch h.M. in Deutschland folgte damit kollisionsrechtlich der Sitztheorie, deren Anwendung jedoch schon in der Vergangenheit in Bezug auf eine rechtssichere Strukturierung – z.B. grenzüberschreitender Beteiligungsmodelle – Schwierigkeiten bereitete.[43]

[41] Vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, NZG 2012, 775, juris Rn 20 f.; MüKo-HGB/Langhein, § 106 Rn 26.
[42] Vgl. BGH, Urt. v. 27.5.1957 – II ZR 317/55, WM 1957, 999; Krafka, Registerrecht, Rn 607; MüKo-HGB/Lan...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge