Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 138
In § 15 Absatz 5 RVG wird bestimmt, dass ein RA, dem zunächst für Einzeltätigkeiten wie Schriftsatzanfertigung, Terminsvertretung oder Tätigkeit als Verkehrsanwalt Gebühren erwachsen sind, sich diese Gebühren dann anrechnen lassen muss, wenn er später in derselben Angelegenheit erneut mit Einzeltätigkeiten beauftragt wird, oder wenn er später als Bevollmächtigter für die gesamte Angelegenheit tätig wird und hierfür Gebühren erhält. Das bedeutet, dass er für die vorher erledigten Einzeltätigkeiten und für seine Tätigkeit als Bevollmächtigter insgesamt nur eine so hohe Vergütung beanspruchen darf, wie wenn er von Anfang an Bevollmächtigter für die gesamte Angelegenheit gewesen wäre.
Beispiel:
RA Zeck hat als Terminsvertreter einen Beweistermin wahrgenommen und damit eine 0,65 Verfahrensgebühr (Nr. 3401 VV RVG) und eine 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3402 VV RVG) verdient (siehe auch § 7 Rdn 96). Später wird er zum Prozessbevollmächtigten in dieser Angelegenheit bestellt und nimmt an einem weiteren Termin teil, wofür ihm jeweils eine 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) und eine 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) zustehen. Er muss sich dann jeweils die früher verdienten Gebühren für Einzeltätigkeiten auf die später verdienten Gebühren des Prozessbevollmächtigten anrechnen lassen.
Rz. 139
Durch § 15 Abs. 5 RVG wird auch der Fall geregelt, wenn ein Auftrag vom Mandanten zurück genommen wird und später in derselben Angelegenheit ein erneuter Auftrag erteilt wird.
Beispiel:
RA Mücke erhält den Auftrag, beim Schuldner seines Auftraggebers einen Betrag außergerichtlich beizutreiben. Nach Erhalt eines Aufforderungsschreibens zahlt der Schuldner nicht. Der Mandant entschließt sich, die Sache nicht weiter zu verfolgen und beendet den Auftrag. RA Mücke berechnet eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG.
Nach einem halben Jahr erteilt der Auftraggeber einen erneuten Auftrag zur außergerichtlichen Beitreibung seiner Forderung mit der Begründung, er habe erfahren, dass der Schuldner geerbt habe. RA Mücke übersendet dem Schuldner erneut ein außergerichtliches Aufforderungsschreiben, woraufhin der Schuldner zahlt. Da es sich noch um dieselbe Angelegenheit (dieselbe Forderung) handelt kann hier RA Mücke keine neue Geschäftsgebühr für das zweite Aufforderungsschreiben berechnen. Allenfalls könnte er innerhalb des Rahmens des § 14 RVG eine höhere Gebühr fordern, wenn er zuvor unterhalb des Gebührensatzes von 1,3 geblieben war.
Rz. 140
Durch § 15 Abs. 5 RVG soll sichergestellt werden, dass der RA keine mehrfachen Gebühren erhält, wenn die Erledigung eines einzelnen Auftrags nicht zur Erledigung der Angelegenheit selbst führt und der RA deswegen einen weiteren Auftrag in derselben Angelegenheit erhält. Es wäre jedoch ungerecht, wenn dem RA der neue Auftrag erst nach langer Zeit erteilt würde und er sich völlig neu in die betreffende Sache einarbeiten müsste, ohne dass er hierfür eine hinreichende Vergütung erhielte. Deshalb sieht § 15 Abs. 5 S. 2 RVG vor, das seit der ersten Auftragserteilung nicht mehr als zwei Kalenderjahre vergangen sein dürfen, sonst wird der neue Auftrag als neue gebührenpflichtige Angelegenheit betrachtet. Das Gesetz unterstellt also, dass ein RA sich noch etwa zwei Jahre an eine Angelegenheit erinnern kann und deswegen keine zusätzlichen Gebühren für eine erneute Einarbeitung erhält. Dies gilt natürlich nicht, wenn die Bearbeitung eines Auftrages mehr als zwei Jahre dauert.
Die 2-Jahresfrist beginnt zum Zeitpunkt der Erledigung des Auftrages, was häufig dem Zeitpunkt entspricht, in dem die Vergütung nach § 8 RVG fällig wird. Die 2-Jahresfrist wird zur Erleichterung nicht in Jahren, sondern in Kalenderjahren berechnet, sodass die Frist immer an einem 31. Dezember endet.
Hinweis:
Die Zweijahresregel des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG bezieht sich nicht auf die Fälligkeit, sondern auf die Erledigung des Auftrags. Das bedeutet, dass z. B. bei einem Ruhen des Verfahrens der RA immer noch prüfen muss, wann die Fortsetzung des Verfahrens zu beantragen ist. Er ist also weiterhin in der Sache tätig, die so lange nicht erledigt ist, wie sie ruht. Bei Fortsetzung des Verfahrens z. B. erst nach drei Jahren liegt also keine neue Angelegenheit vor (VGH München, Beschluss vom 08.12.2014 – 15 M 14.2529; OVG Bautzen, Beschluss vom 04.01.2018 – 5 E 81/16; OVG Weimar, Beschluss vom 17.12.2018 – 4 VO 812/18).
Beispiel:
RA Leffers hat mit Einverständnis des Auftraggebers als Terminsvertreter einmalig einen Verhandlungstermin am 17.05.2015 wahrgenommen. Hierfür erhielt er eine 0,65 Verfahrensgebühr (Nr. 3401 VV RVG) und eine 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3402 VV RVG, siehe auch § 7 Rdn 88 ff.). Am 22.09.2017 wird er zum Hauptbevollmächtigten in dieser Angelegenheit bestellt und nimmt daraufhin an mehreren Terminen mit streitiger Verhandlung teil. Da die zwei Kalenderjahre seit der ersten Auftragserteilung in dieser Angelegenheit aber erst am 31.12.2017 abgelaufen sind, kann RA Leffers auf die ihm jetzt als Prozessbevollmächtigten zustehende 1,3 Verf...