Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 153
In § 19 RVG wird angeordnet, dass zu einem Rechtszug oder einem Verfahren auch alle Vorbereitungs-, Neben- und Abwicklungstätigkeiten sowie Nebenverfahren gehören. Dies bedeutet, dass diese genannten Tätigkeiten alle zusammen eine einzige Angelegenheit bilden, sodass die Gebühren nur einmal entstehen können. Dies gilt nur dann nicht, wenn eine dieser Tätigkeiten schon in § 18 RVG als besondere Angelegenheit genannt ist.
Rz. 154
Mit einem Rechtszug ist ein Prozess in erster oder in Rechtsmittelinstanz gemeint. Mit einem Verfahren ist jedes Verfahren gemeint, also auch z. B. ein Verfahren der Zwangsvollstreckung oder das gerichtliche Mahnverfahren.
Der Begriff des Rechtszuges bzw. des Verfahrens wird im Kostenrecht teilweise anders als im Verfahrensrecht aufgefasst. Während prozessrechtlich gesehen nur Handlungen, die sich direkt mit einem gerichtlichen Verfahren befassen, zum Rechtszug (= Instanz) gehören, beginnt die Tätigkeit des Rechtsanwalts schon vor Einreichung der Klage und endet erst nach Zustellung des Urteils. Durch § 19 RVG erfolgt eine entsprechende Klarstellung.
Prozessrechtlich ist ein Rechtszug der Verfahrensabschnitt eines Rechtsstreits vor einem bestimmten Gericht. Das gerichtliche Verfahren beginnt im ersten Rechtszug vor dem durch das Verfahrensrecht festgelegten Gericht der ersten Instanz und kann durch Einlegung von Rechtsmitteln in den zweiten und gegebenenfalls in den dritten Rechtszug vor die jeweils übergeordneten Gerichte kommen.
Die möglichen Instanzenzüge sind: AG → LG → BGH (in Familiensachen: AG → OLG → BGH) oder LG → OLG → BGH. Die gerichtliche Instanz beginnt mit der Einreichung der Klage bzw. des Rechtsmittels und endet mit dem Erlass des Endurteils.
Gebührenrechtlich beschreibt § 19 RVG für Prozessverfahren und andere gerichtliche Verfahren, was im Sinne des § 17 Nr. 1 RVG unter einem Rechtszug verstanden wird. Der Rechtszug im Sinne des Verfahrensrechts stimmt demnach mit dem Rechtszug im Sinne des Gebührenrechts nicht überein. Gebührenrechtlich beginnt der Rechtszug schon vor Inanspruchnahme des Gerichts, nämlich mit dem Auftrag, und endet mit der Erledigung der Angelegenheit durch den RA (§ 15 Abs. 1 RVG), d. h. erst nach der Entscheidung, die die gerichtliche Instanz oder das gerichtliche Verfahren abschließt.
Durch § 19 RVG wird also der § 15 RVG ergänzt, wie schon zuvor dargestellt wurde (vgl. auch Rdn 124 ff., Rdn 147 ff.). In § 15 Abs. 1 RVG wird bestimmt, dass die Gebühren die gesamte Tätigkeit des RA vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit abgelten. In § 15 Abs. 2 RVG wird festgestellt, dass die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal gefordert werden können, wobei sie allerdings nach § 17 Nr. 1 RVG in jedem Rechtszug und in jedem gerichtlichen Verfahren beansprucht werden können. Der Begriff des Rechtszuges bzw. des Verfahrens wird nun durch den § 19 RVG beschrieben.
Rz. 155
Im Sinne des § 19 RVG gehören gebührenrechtlich beispielsweise zum Rechtszug oder zum gerichtlichen Verfahren:
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die Vorbereitung der Klage oder des Verfahrensantrages (Abs. 1 Nr. 1), wozu auch die Einholung der notwendigen Informationen durch den RA und die Beratung des Mandanten sowie der Schriftverkehr mit der Gegenseite (z. B. Mahnschreiben) gehören; |
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außergerichtliche Vergleichsverhandlungen (Abs. 1 Nr. 2); |
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die Ablehnung von Richtern, Rechtspflegern, Urkundsbeamten oder Sachverständigen wegen Befangenheit (Abs. 1 Nr. 3); |
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die Festsetzung des Streitwertes (Abs. 1 Nr. 3); |
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die Einholung des Notfrist- und des Rechtskraftzeugnisses (Abs. 1 Nr. 9); |
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in Straf- oder Bußgeldverfahren die Einlegung von Rechtsmitteln bei dem Gericht desselben Rechtszuges durch den bisherigen Verteidiger (Abs. 1 Nr. 10); |
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die Kostenfestsetzung (Abs. 1 Nr. 14), (vgl. aber § 16 Nr. 10 RVG); |
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die Einforderung der Vergütung des RA einschließlich der Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG (Abs. 1 Nr. 14); |
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die Zustellung eines Vollstreckungstitels im Parteibetrieb (Abs. 1 Nr. 16); |
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die Herausgabe der Handakten an den Auftraggeber (Abs. 1 Nr. 17); |
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richterliche Durchsuchungsbeschlüsse in Vollstreckungsverfahren (Abs. 2 Nr. 1); |
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die Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung nach § 766 ZPO (Abs. 2 Nr. 2), jedoch keine anderen Erinnerungen aus § 18 Nr. 3 RVG; |
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die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme (Abs. 2 Nr. 6). |
Rz. 156
Das Wort "insbesondere" in § 19 Abs. 1 S. 2 RVG zeigt übrigens, dass die dort genannte Aufzählung nicht vollständig ist. Die in § 19 RVG aufgeführten Tätigkeiten sind deshalb nur als Beispiele zu verstehen. Auch diesen Beispielen ähnliche Tätigkeiten sind also entsprechend als Vorbereitungs-, Neben- oder Abwicklungstätigkeiten zu behandeln. Insofern unterscheidet sich § 19 RVG von den §§ 16 bis 18 RVG, die keine Beispiele nennen, sondern ausschließlich die dort genannten Tätigkeiten regeln.
Für jede Tätigkeit, die der RA in dem Rechtszug ausführt, erhält er gemäß dem Grundsatz der pauschalen Vergütung eine oder mehrere der im Vergütungsverzeichnis des RVG aufge...